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Holzen und Klotzen

Leseecke: Günter Ogger

Diese Begriffe drängen sich zur Beurteilung einer Epoche auf, die, flüchtig betrachtet, in manchem Geschichtsbewusstsein immer noch als "gute alte Zeit" vor dem ersten Weltkrieg herumgeistert.

Eigentümlich aktuell in mancher riskanten Tendenz regionaler und überregionaler Baupolitik und diverser Wirtschaftsabenteuer erscheinen die in folgendem Buch geschilderten alten Zeitläufte:

Günter Ogger: Die Gründerjahre. Als der Kapitalismus jung und verwegen war.

München: Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., Vollst. Taschenbuchausgabe 1982, 1995. 378 S., gut lesbare Schrift. Prägnante Abb. (zu bekommen: Antiquarisch und Staatsbibliothek) Insbesondere in diesem Jahr, das der Ursachen und des Verlaufs des 1. Weltkriegs gedenkt, ist die voraufgehende geschichtliche Entwicklung kritischer Aufmerksamkeit wert.

Höchst anschaulich und spannend werden die Jahre zwischen 1830 bis 1900 vorgeführt, die Zeit, als jenes Gebilde entstand, das uns noch heute ernährt: Die deutsche Industrie. Mit ihr bildete sich der moderne Kapitalismus heraus, die wohl folgereichste Idee seit der "Erfindung" des Christentums (S.11). Die Industrie unterwarf den Menschen einem neuen Lebensrhythmus, zwang ihm bisher unbekannte Formen der Arbeit auf, gab der Arbeit selbst einen neuen Stellenwert ( ...) Eisenbahnen und Dampfmaschinen steigerten die menschliche Mobilität, Kraftmaschinen das menschliche Leistungsvermögen; Telegraphie und Telephon griffen über das Kommunikationsverhalten ins Bewusstsein ein; das elektrische Licht veränderte den Alltag. (...) Eine ganze Generation begriff plötzlich, dass die Welt "machbar" ist. "Fortschritt" hiess ihr Glaubensbekenntnis, und Fabriken waren ihre Kathedralen (S.12).

Umreisst Günter Ogger, Jg. 1941, mit der ersten Textpartie ungefähr seine Themen und kennzeichnet, was er bei der Fülle des Stoffes auslässt ( die chemische Industrie und die Entwicklung der Reedereien ), so eignet sich der Satz von der Machbarkeit der Welt dazu, den Leser zu irritieren: Obwohl schon Jahre vor der Erstveröffentlichung des Buches (1982) Wissenschaftler vor der Fehleinschätzung unbegrenzten Wachstums gewarnt hatten (Club of Rome), scheint der Autor von keinem Zweifel angekränkelt. Gründerjahre hätten wir dringend nötig - eine Zeit des Aufbruchs, des Abenteuers, des Fortschritts, sagt er gleich am Buchbeginn, tadelt u.a. die Zukunftsangst der Unternehmer, ihre Risikoscheu, die Anspruchshaltung der Arbeitnehmer (...) Verbürokratisierung und Innovationsfeindlichkeit (S. 11).

Folgerichtig knüpft er die Darstellung revolutionärer Erfindungen an Unternehmerpersönlichkeiten aus der Schwerindustrie, die sich zunächst vorwiegend der Eisenbahn-Fabrikation widmete (Borsig, Krupp. Strousberg) Er schildert ihre auch sich selbst gegenüber schonungslose Hartnäckigkeit beim Durchsetzen ihrer Einfälle, ihre oft missglückten Experimente, ihre frustrierenden Bettelgänge zu reichen Verwandten und Bankiers.

Wir erfahren pikante Einzelheiten über ihre Methoden, Kollegen im In- und Ausland Verfahrensverbesserungen, z.B. in der Guss-Stahlherstellung, abzujagen - "schräge" Verhaltensformen! Wenn z.B. der Dürener Eisenfabrikant Eberhard Hoesch den Ärmelkanal überquert, um sich in Sheffield in ein Stahlwerk als Kunde einzuschmuggeln, beim Ausspionieren entdeckt in den Schornstein eines erkalteten Ofens flüchtet , um später heimlich zu entwischen, dann aber, weil der Ofen überraschend angeheizt wird, in einer Russwolke nach unten saust und im Hasenpanier das Werkgelände verlassen muss - auf Werk-Spionage stand laut Ogger die Todesstrafe - so kann man dem Akteur die Sympathie nicht ganz versagen, schon weil die Schilderung komisch ist.

Eindrucksvoll werden die Karrieren von Unternehmern beschrieben, ihre Verflechtung mit politischen Grössen ( Bismarck, preussischer Adel) und Zielen (Kolonial- Rohstoff - und Absatzmarkt- Gewinn, gewissermassen wirtschaftliche "Sachzwänge" gefährlicher Art, weil sie Kriege vorbereiten helfen) Bekanntlich baute Krupp schliesslich Kanonen.

Breite Partien nehmen in Oggers Buch Selbstinszenierung und überbordender Lebensstil der Gründer ein, wenn sie den Höhepunkt ihrer Laufbahn erreicht haben.

Einsamkeit und Schrulligkeiten kommen nicht zu kurz. Krupp z.B. soll sein penibelst selbst geplantes Riesenanwesen auf der Villa Hügel mit Rohren zur Ventilierung von Kuhmistgeruch ausgestattet haben. Er hielt das für gesund. Seine Frau Berta suchte das Weite. Aktienhandel und -Schwindel boomen insbesondere nach dem Sieg über Frankreich 1870/71. Eisenbahnkönig Strousberg erleidet dabei ein geradezu tragisches Schicksal, er stirbt völlig verarmt.

Aber auch die Arbeiter und Kleinbürger fallen herein, verlieren in unverstandenen Spekulationen ihre Ersparnisse und landen in Barackenunterkünften in Grossstadtnähe. Ogger spart insofern entgegen dem ersten Eindruck vom Vorwort keineswegs an Kapitalismus-Kritik. Sie brauchen das Buch nicht "hintereinander" zu lesen: Jedes Kapitel ist für sich interessant und alle zusammen für den Laien eine erste nützliche Lektüre zum Verständnis von Industrie- und Wirtschaftsgeschichte.

Im übrigen ist Ogger längst in unserer zeitgenössischen vernetzten Gesellschaft angekommen. Seine neueren Bücher Der Börsenschwindel, 2001; Die EGO-AG- Überleben in der Betrüger-Wirtschaft, 2003; Der Absturz. Roman, 2005. Die Abgestellten, 2007 werden im Internet genannt (letzte Eintragung über Ogger: 15. 4. 2014).

Seine Beschwerden über Passivität 1982 dürfte er nach seinen ausführlichen Recherchen (im Internet aufgezählt) zur zeitgenössischen Unternehmer- Kreativität in Immobilien-, Börsen- und neusten Waffengeschäften zurückgenommen haben.

Autor: G.B.

HBZ · 10/2014
 
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