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Ausstellung im Ernst Barlach Haus 18. Oktober 2015 bis 10. Januar 2016

Lichte Finsternis - Alfred Kubin und Ernst Barlach

Der Österreicher Alfred Kubin (1877 - 1959) und Ernst Barlach (1870 - 1938) sind sich nie begegnet, schätzten sich aber hoch wegen ihrer Arbeiten.

80 selten gezeigte Feder-, Kohle- und Bleistift- Zeichnungen, angeordnet in der Ausstellung unter 13 Titelgebungen nach vergleichbaren Motiven, belegen, dass beide Künstler etwas "bildmäßig einfangen", was Kubin als "innerlich geschaute Formen, Gestalten und Geschehnisse" bezeichnet. (1927) Und außerdem passt hier wohl: Mein Glaube ist: Was sich nicht in Worten ausdrücken lässt, kann durch die Form verfügbar werden und in den Besitz eines anderen übergehen … (Barlach 1932). Das heißt auch: Formend eigene und fremde Ängste bewältigen.

In der Ausstellung liegt der Schwerpunkt - entsprechend der Faszination beider Künstler "vom Abgründigen und Grotesken (und den) Licht- und Schattenseiten des Menschseins" (Begleittext) vorwiegend auf der dunklen Seite des "Unerforschlichen" (s.o.). Die Zeichnungen sind unter den Titelgebungen Verführung und Hexenwerk; Elementargewalten; Schicksalsmächte, Schattenwesen, Gequälte; (seltsame) Kreaturen; auch Seher, Rufer, Mahner (und ihre fragwürdig dargestellte Position) in zwei großen Räumen in Beziehung gebracht. Dabei ist die Zuordnung hin und wieder auswechselbar, wie ein Blick auf die Arbeiten in einem kleineren Raum mit Typen und im Flur mit der Abteilung Passagen erkennen lässt. Zusätzlich sind einige Plastiken Barlachs sehr einleuchtend in die Themenbereiche einbezogen.

Ehren wir das Unerforschliche,
das unser Fleisch zur Wohnung
gewählt hat.

(Ernst Barlach 1925/26)

Gelegentlich, im Gedanken an historisch bedeutsame Daten, vermisste ich eine chronologische Anordnung, um schneller zu sehen, ob sich das von mir aus der früheren Ausstellung 'Ludwig Meidner-Barlach' erinnerliche Motto mit seiner Einstellung zum Unerforschlichen wirklich auf die aktuell ausgestellten Arbeiten anwenden ließe. Frage: Reagieren Kubin und Barlach in Zeiten der Katastrophenstimmung wie vor und nach dem 1. Weltkrieg und nach 1933 weiterhin mit dem Verweis auf das Irrationale und mit entsprechenden Gestaltungen von Ungeheuern oder Verweisen auf Himmelsmächte, oder stärken sie den Widerstand gegen das (oft grausige) Unerforschliche durch Hinweise auf konkreter zu fassende Verursacher der Katastrophen? Eventuell mit anderen formalen und stilistischen Mitteln als bisher?

Zwei offenbar aggressive Bestien mit gesträubtem Rückenfell (grobe schwarze Federstriche), die eine hell, verdeckt von ihrer Artgenossin im Vordergrund bis auf den borstigen Oberkörper und Kopf, mit dessen Zuwendung sie den Betrachter in das Bild einbezieht, die andere schwarz, zur Hälfte sichtbar, im Profil mit geöffnetem Maul, einem undefinierbaren schwarzen Untergrund verhaftet. Dieser brandet als bedrohliche Schlamm-Masse (Tusche verstärkt grobe Federstriche) im Halbkreis auf einen kleinen instabil wirkenden Steinhügel zu. Auf diesem hockt, mit dem Rücken zu einer begrenzenden, in ihrem Gesamtvolumen nur angedeuteten Wand in Seitenansicht ein nackter magerer Mensch. Das Geschlecht ist unklar; das Gesicht könnte das eines Totenkopfes sein, ist vielleicht aber von beiden Händen verdeckt, besonders der Mund, dessen Schrei so erstickt wird.

Aufgrund der undefinierbaren Strichführung im Gesichtsbereich könnte die Figur aber auch in einer intensiv nachdenklichen Haltung versunken sein. Ist sie in die Enge getrieben? Betrachtet sie die bedrohlichen Tiere als fremdes Gegenüber oder als Projektion aus ihrem Inneren? Letztlich "unerforschlich"? Zeitgenossen der 30er Jahre dürften die Zeichnung als Zeitkritik interpretiert haben. Die biografischen Anmerkungen (Begleittext) benennen Kubins Existenzschwierigkeiten und Ängste um seine halbjüdische Frau.

Dennoch, die Zeichnung könnte auch älter sein; Kubins Figurentypen und Formgebung bleiben, vorbehaltlich einer intensiveren Sichtung, in den Jahrzehnten einigermaßen konstant - abgesehen von wenigen deutlicher an aktuelle Geschehnisse mahnende Titel: Alarm (1940), Der große Notschrei (1940) und Gefahr unserer Zeit (1934 und 54) (dargestellt ist im letzten Blatt ein fast komisch in einer Art Nest hockendes schwarzes Riesenwesen mit zwei Hackebeilen oder Ankern an den Seiten. Eine Figur expressionistischer Herkunft.)

Die meisten Gestalten Kubins scheinen in ihrer altmodischen Kostümierung noch 1933 (Balkonsitze; Der unsterbliche Walzer) seinem Roman "Die andere Seite" zu entstammen (ersch.1908). Er schildert ein visionäres, Traumreich, zunächst anziehend für fortschrittsfeindliche Romantiker, am Ende jedoch verfallend und im Untergang gefährlich. "Lichte Finsternis" erweist sich hier allenfalls als verlogenes Zwielicht. Damit findet sich hier ein (zeit?-)kritisches Element, das man den anachronistisch wirkenden Gestalten in ihrem bürgerlichen Milieu 1933 auch zugestehen könnte. Aber um die Frage nach einem direkteren Zugriff auf bedrohliche Zeitläufte unter einer Absage an das Irrationale zu beantworten, bedürfte es genauerer Untersuchung und der Kenntnis weiterer Arbeiten.

Das gilt insbesondere für Barlach.

Seine Zeichnungen vor und nach dem ersten Weltkrieg - hauptsächlich diese sind ausgestellt - belegen auffallend das Experimentieren mit Formen. Sie negieren zwar nicht gerade ein "weltlicheres" Engagement (s. seine Karikaturen unter Typen; aber schon seine "Kritik" der Frau, gefährlichen Tieren zugesellt - scheint, obwohl vielleicht autobiografisch begründet, dem Repertoire der Femme fatale des Jugendstils entnommen, seine schreienden Propheten und losstürmenden Hexen teilen das expressionistische Gefühl ahnenden Ausgeliefertseins an ungezügelte, nicht kalkulierbare Kräfte.

Aber schon früh bemerkt man "Bändigung": Feste, wie schon vorher bedachte Umrisslinien halten die monumentartigen 3 Hexen von 1907/08 zusammen - ein Gegensatz zu Kubin, der seine Drei Parzen verschiedenen Alters, sie sich in Strichellinien vergegenwärtigend, vor ein Stadthaus setzt (1930).

Aus den 30ern finden sich von Barlach hier keine Zeichnungen. 1936 wurde vor dem Hintergrund zahlreicher Schikanen ein Band Zeichnungen durch die politische Polizei beschlagnahmt. Barlachs schriftstellerisches Werk wäre zur Untersuchung seiner Haltung hinzuzuziehen, vor allem auch seine Rundfunkrede zum Thema "Künstler zur Zeit" am 23. Januar 1933.

Aus den 30ern finden sich von Barlach hier keine Zeichnungen. 1936 wurde vor dem Hintergrund zahlreicher Schikanen ein Band Zeichnungen durch die politische Polizei beschlagnahmt. Barlachs schriftstellerisches Werk wäre zur Untersuchung seiner Haltung hinzuzuziehen, vor allem auch seine Rundfunkrede zum Thema "Künstler zur Zeit" am 23. Januar 1933.

In seinen Dramen sind die "Weltläufigen", Redegewandten die Negativ-Figuren. "Grundstimmung von B.'s Werk: Aufs Wort gestellt, lebt es aus der Gewissheit, dass Worte nichts sagen können." (Manfred Brauneck, Autorenlex. 1995). Die Existenz des Menschen im Spannungsfeld verinnerlichter guter und böser Kräfte, weniger ihre gesellschaftlichen (und besser fassbaren) Wirkungen stellt er in seinen einsamen Figuren da. Diese Kräfte werden in den Zeichnungen der Ausstellung sinnfällig.

Nur einen Widerspruch meinte ich, ausfindig machen zu können: Die Plastik Lachende Alte von 1936/37. Worüber sie lacht, ist unklar, aber sie biegt ihren Körper nach hinten und schreit ihr Lachen dem Himmel zu.

Welches ist ihr Verhältnis zum Unerforschlichen? Zu der außerordentlich sehens- und bedenkenswerten Ausstellung gibt es einen Katalog der Kuratoren Karsten Müller und Helga Thieme für 24 €.

Autor: VHSt

HBZ · 12/2015
 
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