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Geachtet und entwickelt in der Buchkunst von Claudia Grasse (geb. 1946).

Geheimnisse kleiner Wesen und stiller Dinge

Der Perspektivenwechsel, zu dem Claudia Grasse hinleitet, führt in Lebensbereiche abseits vom lärmenden, funktionsbestimmten Taggetriebe, zu finden vielleicht in einer stillen Mittagsstunde oder auf einem geruhsamen Spaziergang.

Dann kann einem z.B. ein Borkenkäfer - in der übermächtigen "Normalität" Schrecken der Forstbeamten - als Wesen mit eigenem Lebensrecht im großen Erdorganismus erscheinen, das dem nachgeht, was es für seine Aufgabe hält: Urubu, der Borkenkäferkönig (2006), archiviert in den Baumrinden seine und die Geschichte seiner Vorfahren in einer Schrift, die wir nicht lesen können und die uns als "Spur" Gefahr signalisiert. Aber er hat eine Augenkrankheit und nur Lust zum Regieren, wenn er auch lesen kann ("Na, bestens", würden die Förster sagen). Eine Expeditionsgruppe seiner Untertanen bringt Hilfe durch Heilbeeren aus einem anderen Land. Diese Geschichte fand Claudia Grasse "vor zwei Jahren in den österreichischen Alpen auf 1000 m Höhe, tief eingebissen in die Rinde eines Nadelbaums." Das in hellgraues Leinen gebundene Buch enthält Drucke von Originalholzschnitten. Ein schmaler Einschnitt auf dem Buchdeckel gewährt einen Blick auf ein helles Holzstück mit Einkerbungen, gewissermaßen die "Handschrift" eines Borkenkäfers. "Um einer Geschichte Wirkung zu geben" ist Claudia Grasse "die Wahl des Ausdrucksmittels von großer Wichtigkeit".

So unterstreicht die Sprödigkeit des Holzschnitts und das Mühsame seiner Herstellung die Anstrengung Urubus ebenso wie die zweier Tierwesen in "Nachtgefischtes - ein Buchstabenmärchen" (2010). Hier fischen bei Mondschein, gelagert in einem schwarzen Boot, eine Eule und ein Käfer, beide formal von gleicher Größe, d.h. gleich bedeutend, in einem Waldsee. Beide Tiere sind Angehörige unauffälliger Realität, aber auch in Mythen zu Hause: Der bei den Ägyptern die Auferstehung versinnbildlichende Skarabäus-Käfer und die (weise) Eule. Sie fischen nach Zweigen, die "erst einmal gebrochen werden müssen, ehe man daraus Gedichte machen kann". D.h. der Rohstoff muss zunächst zu Buchstaben (und weiter) bearbeitet werden. Ergebnisse rahmen die Szene: Links neben der Eule ein Band ägyptischer Hieroglyphen, rechts, nahe dem Käfer, ein Band mit runenähnlichen Zeichen - die märchenhaften Tiere tauschen Sprachen und Schriften problemlos aus.

Auch der "steuernde(.) Zufall" inspiriert Claudia Grasse, z.B. ihre ungeordneten Sammlungen auf ihrer Kommode: Getrocknete Blumen, ein kleines silbernes Boot, eine Zuckerdose, Granatapfelkerne, ein Leuchter, eine Muschel … Zwei javanische Schattenfiguren, "die schon lange kein Theater mehr spielen: eine böse und eine gute, stellen im Gespräch diese Dinge zu einem Stilleben zusammen, um etwas Bleibendes zu schaffen". In dem Bilderbuch werden auf einer Seitenfolge die von Texten begleiteten anschaulichen Versuche sichtbar. Verständlicherweise sind es zwei für flüchtige Schatten Zuständige, die sich Beständiges wünschen. Ausgerechnet soll es jedoch im nur scheinbar dauernden Stilleben gefunden werden - ein vergeblicher Versuch - ist dieses traditionell doch versteckt mit Vergänglichem behaftet, und wenn es ein zu schweres Tischtuch ist, das den ganzen Aufbau in den Abgrund zieht. Zum Schluss ist alles weg, als ob ein Faden von einem "Zwirn- Stern" abgespult sei. Dieser ziert den rückwärtigen Buchdeckel.

In Farbe getauchte und dann abgedruckte Objekte, z. B. auch Pflanzen, lassen Wesen entstehen, die in Collagen mit einander kommunizieren (Pflanzenmärchen, 2004). Zufällige "Ausschüttungen" wie Teeflecke setzten "Bildspuren" zu einer Geschichte, der Teerizade, 2016 im Buchdruck erschienen, aber vorher schon, z.B. im Altonaer Museum, als Papiertheaterstück aufgeführt: Einer Teekanne entsteigen die Teegeister Souchong, Oulong und Yunnun (wunderschön sichtbar gemacht mit angeleuchteten Papierschleiern.) Ihre Wirkung ist, schluckt man sie mit dem Tee, verschieden: Hier agiert dann eine unerzogene Teegesellschaft. Als ein Teilnehmer, Herr Cha Do, seinen Tee in eine Vase gießt, entwickeln sich Blumen zu Gesichtern. Hier wurde Claudia Grasse auch von James Ensors "Stilleben mit Masken", 1896, Hamburger Kunsthalle, beeinflusst. Daraus ein Detail: In einer chinesischen Vase stecken statt Blumen Masken, die aber auch zu menschlichen Gesichtern verschwimmen können, genauso wie Menschengesichter auf dem gleichen Gemälde zu Masken. Vorzeitige Festlegungen wären falsch. Es gilt, den Dingen mit mehr Geduld, mit genauem Hinsehen, Tasten, Riechen nachzuspüren (s. die Geschichte von Herrn Smell, 1972, dessen lange Nase sich auch an einer kleinen Blume erfreut.) In der Geschichte von der Hexe und den Ameisen (1998) bleibt der bloße Besitz des der Hexe gestohlenen Zauberstabs für die von Bauplan-Konstruktionen besessenen Ameisen für ihre Arbeit wirkungslos; die magische Kraft fehlt, die aus einer existenziellen Teilhabe, gewonnen aus geduldigem sinnlichen Erfahren aller Dinge entsteht. Damit, zusammen mit einer Portion Humor, der Fixierungen lockert, kann Claudia Grasses Fabelhafte Hexe im Gegensatz zu den Ameisen deren schwere und andere Aufgaben im Nu lösen.

Claudia Grasses wunderbare Buchkunst war in zahlreichen Ausstellungen 1979 bis 2013 zu sehen, wurde von einigen Museen angekauft und ist in einigen Exemplaren im Verlag 'Die Büchse' erschienen. Die erwähnte Hexengeschichte unter ISBN 3-00-003456-0.

Autor: VHSt

HBZ · 12/2016
 
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