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Gedenken und Handeln

Die 'Polenaktion' im Oktober 1938

Der 80. Jahrestag der Reichspogromnacht steht kurz bevor. Da Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland wieder zugenommen hat, ist die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten heute umso wichtiger.

Deshalb sollte im Zusammenhang mit den Novemberpogromen 1938 auch anderen Ereignissen gedacht werden, die heute weitgehend vergessen sind. Eines davon ist die sogenannte "Polenaktion" im Oktober 1938, die auch etwa 1.000 Bürger aus Hamburg und Altona betraf.

Flüchtlinge unerwünscht

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hatten viele polnische Juden aus wirtschaftlichen Gründen und auf der Flucht vor Pogromen ihre Heimat verlassen. Teilweise hatten sie sich in Deutschland oder Österreich niedergelassen. Zur überwiegenden Mehrzahl waren sie noch polnische Staatsbürger, da ihnen die Einbürgerung im Exilland fast unmöglich gemacht worden war. Angesichts ihrer Verfolgung durch das NS-Regime befürchtete die polnische Regierung eine massenhafte Rückkehr dieser Exilanten, insbesondere nach der Annexion Österreichs. Um eine potenzielle Flüchtlingswelle zu verhindern, erließ sie ein Dekret, mit dem Polen, die seit Längerem im Ausland lebten, mit Ablauf des 30. Oktober 1938 die Staatsbürgerschaft aberkannt und die Einreise danach untersagt werden konnte.

Abschiebung trotz Integration

Die Betroffenen kamen dadurch in ein Dilemma: Vielfach gut integriert, in festen Wohnungen und Jobs oder eigenen Unternehmen vor Ort verankert, konnten sie ihre sozialen und beruflichen Bindungen nicht kurzfristig auflösen. Zudem waren ungefähr 40 Prozent der zu diesem Zeitpunkt im Deutschen Reich lebenden "polnischen" Juden hier geboren worden - für sie wäre die "Rückkehr" nach Polen die Emigration in ein unbekanntes Land gewesen. Sie alle mussten sich darauf einstellen, ab November 1938 "staatenlos" zu sein und nicht mehr ausreisen zu können.

Die Nationalsozialisten reagierten zügig, um die unerwünschten Mitbürger loszuwerden: Am 26. Oktober 1938 verhängten sie ein Aufenthaltsverbot für die betroffenen Juden polnischer Herkunft. Ihnen wurde befohlen, das deutsche Reichsgebiet bis zum 28. Oktober zu verlassen. Bei Zuwiderhandlung drohte das NS-Regime mit der "Anwendung unmittelbaren Zwanges" und "Abschiebungshaft". Die Koordination der Massenabschiebung übernahm die Gestapo, die Ausführung die örtlichen Polizeikräfte. Insgesamt wurden in kürzester Zeit ungefähr 17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus dem Deutschen Reich abgeschoben - einer von ihnen der später bekannt gewordene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki.

Ins Niemandsland getrieben

Aus Hamburg und Altona wurden etwa 1.000 bis 1.200 "polnische" Juden ausgewiesen. Dabei interessierte es die Behörden nicht, dass sie teilweise seit Jahrzehnten in Hamburg ansässig waren. Am 28. Oktober 1938 - ein Schabbat - nötigten sie Männer, Frauen und Kinder dazu, ihre Wohnungen zu verlassen. Sie wurden in Gefängnissen, Schulen, Turnhallen oder der Viktoria-Kaserne zusammengepfercht. Vom Bahnhof Altona aus verfrachteten die Nazis und ihre Helfer sie dann mit dem Zug an die polnische Grenze.

Ziel war der Grenzort Zbaszyn (Bentschen) in Pommern. Der Zug hielt einige Kilometer vorher. Von dort aus trieben deutsche Soldaten die Abgeschobenen zu Fuß über die Felder Richtung Polen, mit aufgepflanzten Bajonetten und unter Drohungen, sie zu erschießen. Schadenfroh fotografierten sie die verängstigten Menschen und zwangen sie mit brutaler Gewalt ins Niemandsland an der Grenze. Von der anderen Seite aus versuchten die polnischen Grenzsoldaten, die Deportierten aufzuhalten. Erst nach etwa 24 Stunden gestattete man ihnen, nach Zbaszyn weiterzuziehen.

Vom Internierungslager ins Vernichtungslager

Der Transport aus Hamburg war nicht der einzige, der in Zbaszyn ankam. Wer keine Verwandten oder Bekannten in Polen als Anlaufstelle hatte, wurde direkt vor Ort interniert. Im provisorisch eingerichteten Lager herrschten erbärmliche Bedingungen: Geschlafen wurde zunächst auf dem blanken Boden, teilweise im Freien, die Lebensmittel waren knapp und minderwertig, die hygienischen Zustände katastrophal. Unter diesen Umständen wurden im Winter 1938/39 bis zu 8.000 Menschen festgehalten. Etwa 4.000 von ihnen waren noch im Juli 1939 im Grenzgebiet von Zbaszyn interniert.

Eine sehr kleine Minderheit der aus Hamburg Vertriebenen durfte bis August 1939 kurzzeitig zurückkehren, um die Ausreise in ein drittes Land zu organisieren. Dies gelang jedoch nur den wenigsten. Als dann die Deutschen in Polen einmarschierten, begann auch für diejenigen, die zuvor nach Polen hatten einreisen dürfen, die nächste Etappe auf dem Weg in die Vernichtung. Die reibungslose Zusammenarbeit von Gestapo, Behörden und Reichsbahn bei der "Polenaktion" war eine Generalprobe für die späteren Transporte in die Vernichtungslager. Die meisten der Abgeschobenen endeten in Massengräbern, starben im Ghetto oder gingen in Rauch auf.

Gedenken und Handeln

Wer vom Bahnhof Altona aus in Richtung Platz der Republik geht, wird auf einen Gedenkstein treffen, der dort seit 1987 an die Vertreibung der polnischen Juden aus Altona erinnert. Gedenken zielt aber nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch auf unser Handeln in der Gegenwart.

Am Sonntag, dem 28. Oktober, findet um 15 Uhr ein öffentliches Gedenken und Vorträge zum Jahrestag der "Polenaktion" im Altonaer Museum statt. Veranstalter ist der Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein und der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.

Autor: Arne Offermanns
Fotos: (c) denkmalhamburg.de - Nils Lauk

HBZ · 10/2018
 
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