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Mythos und Wirklichkeit

Rungholt

Immer wieder hatte es in den Jahrhunderten und auch Jahrzehnten vor dem Jahr 1362 an der Küste Nordfriesland schon schwere Sturmfluten gegeben. Die Alten in den Dörfern an der Küste erzählten davon, wie ganze Häuser, Ställe und Äcker vom brodelnden Wasser weggerissen wurden. Man hörte zu, doch hinter den neuen Deichen fühlte man sich auch sicherer.

Wie nur wenige historische Ereignisse hat sich der Untergang der hochmittelalterliche Siedlung Rungholt in das Gedächtnis der Menschen an der schleswig-holsteinischen Westküste eingebrannt:

In den Tagen vor dem 15. Januar 1362 braute sich dort ein Orkan zusammen, der zu einer gigantischen Katastrophe anschwoll. Als erste "Grote Mandränke" wird diese Sturmflut später beschrieben. Es gibt Berichte von 100.000 Toten an den Küsten von Schleswig-Holstein und Ostfriesland - und das bei einer erheblich dünneren Besiedelung als heute.

Auch später ertranken immer wieder Tausende Menschen in Norddeutschland, als Deiche brachen und das Land überspült wurde.

Doch die Sturmflut von 1362 ist mit einem Ortsnamen verbunden, um den sich etliche Mythen und Sagen ranken: Rungholt, die damals für immer im Meer verschwunden ist. Das Atlantis des Nordens, wie es manchmal hieß. Aber es gab sie wirklich, wie Funde von Archäologen gezeigt haben. Reste einer Schleuse, Keramiken und Funde alter Brunnen entdeckten Forscher im Watt zwischen Pellworn und Nordstrand bis heute.

Doch was ist Mythos, was war Realität? Wie lebten die Menschen dort damals? Um solche Fragen geht es in einer Sonderausstellung zu Rungholt, die noch bis 31. Januar 2017 im NordseeMuseum Husum gezeigt wird. Zahlreiche Fundstücke, der aktuelle Forschungsstand und natürlich die vielen Geschichten, die sich um den geheimnisvollen Ort ranken, werden dort gezeigt und beschrieben. Und Sagen gibt es zu Rungholt reichlich: Das mag vor allem daran liegen, dass es anders als etwa zu den Folgen der "2. Großen Mandränke" rund 300 Jahre später kaum noch schriftliche Zeugnisse oder gar Dokumente des Geschehens gibt.

Dafür aber umso mehr Erklärungsversuche späterer Generationen. Und wie so oft bei Naturgewalten sahen besonders Vertreter der Religion darin eine Art göttliche Strafe. Die Menschen von Rungholt werden in diesen Geschichten als besonders wohlhabend und wenig gottgefällig beschrieben, so dass sie schließlich die Quittung für ihr schändliches Tun bekamen.

Eine andere Erklärung, warum plötzlich ein ganzer Landstrich verschwunden war, habe man kaum gefunden. Als eine Art Urfassung gilt dabei die Rungholt-Sage des Nortorfers Pastor Samuel Meigerius, der sie 1587 geschrieben hatte. Der Mann der Kirche beschrieb die Rungholter als Menschen, die sich zu Beginn der "lutherischen evangelischen Wahrheit" als Verächter des Wortes Gottes gezeigt hätten.

Das Atlantis des Nordens

So vor allem ein reicher Trunkenbold, der sich über einen Prediger lustig gemacht hatte. Er bat ihn um Hilfe für einen Kranken, legte dann aber eine Sau ins angebliche Krankenbett. In späteren Versionen zwang man den gottgefälligen Pastor zudem, sich an einem Zechgelage zu beteiligen.

Immer wird Rungholt in diesen Geschichten auch als reiche Stadt beschrieben, in der es bis zum Überfluss zu essen und zu trinken gab und deren Bewohner sich angesichts hoher Deiche nicht mehr vor der Nordsee fürchteten.

Doch wie sah es tatsächlich in Rungholt aus? Und warum kam es zu solch hohen Opferzahlen? Schon damals gab es abrupte Umweltveränderungen wie einen Meeresspiegelanstieg, heißt es in einem Begleittext zur Ausstellung. Aber auch durch den Deichbau und die Gewinnung neuer Landflächen veränderte sich die Küstenlandschaft, die weitreichende Bedeichung führte beispielsweise auch zu einem Anstieg des Tidenhubs. Die Küstenbewohnen bauten hohe Deiche, rangen dem Meer immer mehr Land ab.

Zu dieser Zeit war Rungholt eine Art Hauptort in einem Verwaltungsbezirk, einer sogenannten Edomsharde. Viel spricht dafür, dass es den Bewohnern tatsächlich für ihre Zeit gut ging. Es wurde wohl vor allem mit Salz gehandelt, mit Vieh, Bernstein, Käse, Wolle und Milch. Rungholt, so lässt es sich aus alten Urkunden deuten, war so etwas wie ein Handelszentrum. Auch importierte Güter konnten von Forschern nachgewiesen werden, etwa spanischmaurische Lüsterkeramik mit arabischen Schriftzeichen.

Wie viele Menschen in der Stadt lebten, lässt sich nicht genau feststellen. Lebten in Rungholt sogar 10.000, 7.000 oder nur 500? Rungholt Forscher versuchen dabei auch aus der Zahl der alten Brunnen auf eine Zahl zu schließen. Bis vor kurzem ging man davon daher von etwa 1.000 Bewohnern aus, doch in jüngster Zeit gibt es neue Brunnenfunde.

Auch Essensreste in Krugscherben und Knochenreste fanden die Forscher. Rinder, Ziegen, Hühner, Gänse - das stand reichlich auf dem Speiseplan. Dazu Dinkel und Gerste. Dieses reichhaltige Angebot ist zu gleich ein Indiz dafür, dass die Menschen schon damals ein sehr feines Entwässerungs- System angelegt hatten. Denn nur so sei an der Küste Viehzucht und Ackerbau möglich gewesen. Bis eben Sturmfluten alles wieder zunichtemachten.

Inzwischen haben die Forscher zwei Punkte ausgemacht, die dafür verantwortlich waren. Zum einen war der Ort auf Sand gebaut, so dass er von der Flut leicht fortgespült werden konnte. Und die bis zu vier Meter hohen Deiche versprachen aber eine trügerische Sicherheit, die Rungholter trauten sich sogar, unterhalb des Meeresspiegel den begehrten Salztorf, das "Friesensalz" abzubauen - was sich bei der Flut wohl als verheerend auswirkte. Noch heute findet der kundige Sucher Überreste dieser Siedlung im Wattenmeer.

Rungholt ist zwar nicht das Resultat einer göttlichen Strafe - einen wahren Kern haben diese Mythen der stolzen und selbstüberzeugten Rungholter aber schon.

Viele weitere Legenden ranken sich um die die versunkene Stadt - auch die, dass bei ruhigem Wetter seine Glocken unter der Wasseroberfläche zu hören seien.

Das Schicksaal der vom Wasser verschlungenen Stadt bleibt daher eine Mahnung. Bis heute!

Autor: VHSt
Fotos: Dietrich Severin

HBZ · 12/2016
 
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