VHSt - Hamburgischer Verein für den öffentlichen Dienst
Hamburgischer Verein für den öffentlichen Dienst
 
Aktuelle Ausgabe
Titelfoto: © Ansicht des Chilehauses (c) stahlpress

Das Mitgliedermagazin

Hamburgische Zeitschrift für den öffentlichen Dienst

 

Mitglied werden

Profitieren Sie von der Mitgliedschaft im VHSt. Einfach ausdrucken und ausgefüllt an uns senden.

 

BESONDERE VERANSTALTUNGEN


 

Top-Themen

Historische Chance und gewaltige Aufgabe

30 Jahre Deutsche Einheit

Die Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990
Die Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990

Am 3. Oktober 2020 feiern wir zum 30. Mal den Tag der Deutschen Einheit. Im letzten Jahr begannen die Feierlichkeiten zum Jubiläum des Mauerfalls mit vielen Veranstaltungen, Filmen und Dokumentationen.

Dabei war die Deutsche Einheit mehr als nur die Essenz aus politischer Entspannung und der Öffnung des Eisernen Vorhangs im Abflauen des Kalten Krieges. Sie war vor allem das Ergebnis des couragierten Handelns eines großen Teiles der ostdeutschen Bevölkerung, einer nahezu friedlichen Revolution und der umgehenden Nutzung einer einzigartigen historischen Chance.

Aus dem Schatten der Perestroika

Die Hoffnung auf politische und persönliche Veränderungen in den osteuropäischen sozialistischen Staaten wurde erst im Jahr 1985 möglich. Der neue Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, vertrat eine neue politische Richtung: Er lockerte die Doktrin des Hardliners und Parteichefs Leonid Breschnew, der allen Satellitenstaaten unter Sowjetführung nur eine begrenzte Souveränität erlaubte. Seine Reformen, geprägt von Umgestaltung (Perestroika) und Offenheit (Glasnost), Bauernwaren ursprünglich auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme in der Sowjetunion ausgerichtet. Übergreifend führten sie aber auch zur Öffnung des sozialistischen Systems in anderen Ländern und der sowjetische Staatschef selbst sicherte jenen Staaten zu, ihr eigenständiges Handeln zu achten.


Polen und Ungarn waren die ersten Länder, die aus eigenem Antrieb Reformen einleiteten. Noch im Juni 1989 bei einem Besuch in der Bundesrepublik bekräftigte Gorbatschow, dass jeder Staat das Recht habe, sein eigenes politisches und soziales System zu wählen. Ein Paukenschlag zur damaligen Zeit. Die SED-Führung unter Generalsekretär Erich Honecker verweigerte weiterhin jegliche Reformen und beharrte auf ihrem Führungsanspruch. Größtes Problem des allmächtigen Überwachungsstaates war dabei nicht nur die Unzufriedenheit einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch die katastrophale wirtschaftliche Lage. Durch Planwirtschaft und mangelnde Kooperationen mit anderen sozialistischen Staaten war die DDR im Jahr 1989 praktisch insolvent.

Vorsichtige Annäherungen

Bereits Anfang der Achtzigerjahre waren Bestrebungen der SED-Führung, die Wirtschaft zu stabilisieren, gescheitert. In den Staatsbetrieben war die Unzufriedenheit am spürbarsten, denn es fehlte an Ersatzteilen, Rohstoffen, technischen Ausrüstungen und vielem mehr. Zielsetzungen von Kombinaten und volkseigenen Betrieben waren unerreichbar. Schon 1981 betrug die Schuldenlast der DDR gegenüber dem Westen rund 23 Milliarden D-Mark. Für heutige Verhältnisse eine gering wirkende Summe, doch im Falle einer Zahlungsunfähigkeit des Arbeiter- und Bauernstaates hätte der internationale Geldmarkt jedes Vertrauen in das SED-Regime verloren. Nur ein weiterer Milliardenkredit, eingefädelt vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz- Josef Strauß und dem Devisenbeschaffer der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski, konnte die Pleite abwenden.

Repressalien trotz Lockerungen

Im Zuge dieser Kreditvereinbarungen konnte die Bundesrepublik der DDR auch Zugeständnisse abringen. So wurden die Selbstschussanlagen und Minen an der innerdeutschen Grenze entfernt. In puncto Familienzusammenführung versprach die SED-Führung Erleichterungen. Die Wirtschaftskrise in der DDR aber blieb und mit ihr die zunehmende Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Devisengewinne brachten dem sozialistisozialistischen Staat noch Exporte von Erdölprodukten, doch auch sie schwanden, als die UdSSR ihre Öllieferungen an die DDR um 13 Millionen Tonnen verringerte. Viele Menschen wollten den Arbeiter- und Bauernstaat verlassen. Gegenüber der schwindenden Loyalität und der gesellschaftlichen Instabilität setzte die DDR-Führung jedoch alle verfügbaren staatlichen Ressourcen ein. Bis zum Ende hielten der gigantische Überwachungsapparat des Ministeriums für Staatssicherheit und die unüberwindbaren Grenzsicherungsanlagen die SED-Diktatur aufrecht. Schikanen und Repressalien waren an der Tagesordnung.

Ein Volk organisiert sich

Aus jener Perspektivlosigkeit formierten sich Gruppen, die sich Freiräume und Nischen schufen. In den industriellen Ballungsgebieten entstanden erste Umwelt- und Naturschutzgruppen. Viele Oppositionsbewegungen nutzten das schützende Dach der Kirche. Die Montagsgebete in der Leipziger Nikolaikirche entfachten die Flamme für die friedliche Revolution von 1989. Bürger- und Menschenrechtsgruppen, ins Leben gerufen von Regimekritikern wie Lutz Rathenow, Bärbel Bohley und Wolfgang Templin, drängten auf Reformen.

Die Mauer bröckelt

Anfang September 1989 marschierten Hunderttausende durch die Straßen von Dresden, Halle oder Magdeburg und äußerten mit den allseits bekannten Worten "Wir sind das Volk" den Willen nach friedlichen, politischen Neuordnungen ohne SED-Alleinherrschaft. Sie forderten Reisefreiheit und die Abschaffung des Überwachungsapparates der Stasi. Bereits im Mai 1989 hatte Ungarn in Eigenverantwortung seine Grenzbefestigungen abgebaut, und so flohen Tausende DDR-Bürger über Österreich in die Bundesrepublik. Rund 6.000 Flüchtlinge waren unterdessen auf dem Botschaftsgelände der Bundesrepublik in Prag gestrandet. Ende September 1989 konnte der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher endlich den geschichtsträchtigen halben Satz zur Ausreisebewilligung verkünden: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …" Der Rest ging im Jubel der Menschenmenge unter. Bürgerbewegungen, wie der "Demokratische Aufbruch" oder das "Neue Forum" zur aktiven Umgestaltung der Gesellschaft, nahmen ein immer breiter werdendes Spektrum ein. Der Ruf nach freien, unabhängigen Wahlen, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit wurde immer lauter.

Die Ereignisse überschlugen sich unaufhaltsam. SED-Parteichef und Staatsratsvorsitzender Erich Honecker gab dem Druck am 18. Oktober 1989 nach und erklärte seinen Rücktritt. Sein Nachfolger Egon Krenz konnte den Glauben an Veränderungen nicht mehr beflügeln. Nur rund zwei Wochen später demonstrierten allein in Leipzig etwa 200.000 Menschen. In ihrer Not versuchte die DDR-Regierung, eine neue Ausreiseregelung und ein neues Reisegesetz auf den Weg zu bringen. Die folgenschwere versehentliche Verkündung durch das Politbüromitglied Günter Schabowski am 9. November 1989 ist weltbekannt: "[…] Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen." Sein gestammeltes "Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich" als Antwort auf die Journalistenfrage nach dem "Wann" hob die jahrzehntelange Teilung der beiden deutschen Staaten faktisch auf und gilt bis heute als endgültiger Zusammenbruch der DDR.

Deutsch-deutsche Verhandlungen

Nachdem die SED ihre Vormachtstellung verloren hatte und sich als Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) neu entwarf, wurden am 18. März 1990 die ersten freien und unabhängigen Wahlen in der DDR abgehalten. Der Weg der beiden deutschen Staaten zur Einheit war allerdings längst vorgezeichnet. Als die Verhandlungen am 6. Juli offiziell begannen, war Deutschland zumindest wirtschaftlich schon geeint und die D-Mark auch in der DDR offizielles Zahlungsmittel. Während so zumindest grob die wirtschafts- und währungspolitischen Angelegenheiten geregelt waren, ging es an die politische Einheit inklusive der Hauptstadtfrage.

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag

Vielleicht wären längerfristige Vorbereitungen, Reformen und ein durchdachter Übergang eine bessere Alternative gewesen, doch die Eigendynamik der Geschichte war nicht aufzuhalten. Diese Zeichen einer kurzfristigen, historischen Chance erkannte vor allem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Zügig warb er besonders im Ausland für eine schnelle Wiedervereinigung. Teil des Einigungsvertrages war auch eine Ergänzung im Grundgesetz: "Von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben." Ein klares Zeichen an die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, dass von Deutschland nie wieder ein Krieg ausgehen sollte. Denn diese mussten dem Einigungsvertrag zustimmen, damit er wirksam wurde. Vor allem Frankreich und Großbritannien standen der Wiedervereinigung bis zuletzt skeptisch gegenüber. Doch Kohl gelang es, schließlich auch den französischen Staatspräsidenten Mitterand und die Premierministerin des Vereinigten Königreichs Margaret Thatcher zu überzeugen.

Nach sieben Wochen Verhandlungen war es so weit. Am 31. August 1990 unterzeichneten die Verhandlungsführer beider deutscher Staaten, Bundesinnenminister Schäuble und der parlamentarische Staatssekretär Krause, im Ost- Berliner Kronprinzenpalais Unter den Linden den Zwei-plus-Vier-Vertrag. In ihm wurden u. a. die Modalitäten zur Einheit Deutschlands mit der Sowjetunion und den westlichen Bündnispartnern festgelegt, die Bildung der fünf neuen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg- Vorpommern festgehalten und der 3. Oktober zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Danach gab es bis zur Annahme des Vertrags am 20. September durch die DDR-Volkskammer, Bundestag und Bundesrat noch einige Nachbesserungen, u. a. das Gesetz über die Stasiakten, das jedem ein Recht auf Auskunft gewährt.

Am 3. Oktober trat die DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes offiziell der Bundesrepublik bei. Helmut Kohl wurde am 2. Dezember 1990 der erste Bundeskanzler des wiedervereinigten Deutschlands. Eine große politische Leistung des ehemaligen Kanzlers, auch wenn sich dessen Vision der "blühenden Landschaften" aus seiner berühmten Rede um etliche Jahre verzögern sollte.

Gewinner, Verlierer und unbeschreibliches Glück


Die Wiedervereinigung brachte gewaltige ökonomische und ökologische Aufgaben. Die eingesetzte Treuhandanstalt wickelte im bis heute umstrittenen und folgenreichen Eilverfahren die Verkehrswertmasse der DDR ab. Nach Expertenschätzungen lagen die Kosten bis zum Jahr 2015 bei rund zwei Billionen Euro. Jedoch sind die Lebensverhältnisse in West und Ost bis heute immer noch nicht gleich. Etliche Regionen und Städte in Ostdeutschland haben sich aber beispielhaft und hervorragend entwickelt. Blickt man auf Dresden oder zahlreiche neue Standorte für Hochtechnologie, ist die Entwicklung positiv. Das Nettovermögen ist in den alten Bundesländern pro Kopf immer noch etwa viermal so hoch, aber bei der Standardrente liegen Ost und West inzwischen nahezu gleichauf. Viel war und ist zu tun und immer noch voneinander zu lernen. Ein Weg, den fortzuschreiten es sich lohnt.

Erinnerungen und Gedenken


Das "grüne Band" ist ein beeindruckender und dennoch kaum mehr wahrnehmbarer Zeitzeuge der Teilung. Mit dem Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße, dem Mauermuseum und dem Stasimuseum ist der Alltag der Bürger der DDR erlebbar geblieben. Nachfolgende Generationen werden vielleicht auch in den Köpfen freier mit der zeitgeschichtlichen Entwicklung umgehen. Eines ist jedoch gewiss: Die Freiheit ist neben allen Umständen auch ein unbestreitbares Glück. Wer heute durch Deutschland fährt oder reist, verdankt das vor allem jenen Bürgern in der ehemaligen DDR, die den Mut aufbrachten, Veränderungen gegenüber einem Unrechtsregime durchzusetzen. Aus der Ferne betrachtet und mit angemessenem zeitlichem Abstand sowie unter Berücksichtigung des gesamten Verlaufs mit Sicherheit ein Glücksfall der Geschichte.

Quellen: Bundeszentrale für politische Bildung; 20 Jahre Deutsche Einheit - Bilanz und Perspektiven, Kurt Bohr und Arno Krause, Noms Verlag; Vom Aufbruch 1989 zur deutschen Einheit 1990, 17. Wittenberger Gespräch, Mitteldeutscher Verlag; Wikipedia. org: https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Schabowski, https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Kohl; visitBerlin.de

Fotos: Fotos: Wachturm/Gedenkstätte in Berlin-Hohenschoenhausen© visitBerlin, Foto: Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen; Historisches Foto des Reichstags vom 3. Oktober: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1003-400 / Grimm, Peer / CC-BY-SA 3.0 via Wikipedia.org

Bildergalerie
Zum Vergrößern Bild anklicken.
Bild vergrößern
Bild vergrößern
Bild vergrößern
Bild vergrößern
Bild vergrößern

Autor: VHSt

HBZ · 10/2020
 
Weitere Meldungen:

Das Netzwerk des Führungsnachwuchses

Die Ratten-AG

Sie nennen sich selbst "Ratten". Es zeugt von Selbstbewusstsein und Humor, sich nach Tieren zu benennen, die viele eher als Schädlinge betrachten würden. Dabei gelten die Nager zugleich ...
HBZ · 3/2024
 

Keine Angst vor dem Finanzamt

Einkommenssteuerberatung des VHSt

Der erfahrene Steuerberater Jörg Hahn berät alle Mitglieder des Vereins Hamburgischer Staatsbeamten kompetent rund um das Thema Steuererklärung - kostenlos. Fu...
HBZ · 3/2024
 

Editorial

Gut beraten und vernetzt

Liebe Mitglieder des VHSt, liebe Kolleginnen und Kollegen, inzwischen liegt die Lohnsteuerbescheinigung des letzten Jahres wohl auch auf Ihrem Tisch und sorgt für ein schlechtes Ge...
HBZ · 3/2024
 

Das Hamburg-Rätsel

Auf welchem Gebäude thront diese Weltkugel?

Liebe Leserin und lieber Leser, mit unserem Hamburg-Rätsel können Sie testen, wie gut Sie Hamburg kennen....
HBZ · 1/2024
 

Aufgeblättert: Buchtipp

Fußball-Ikone: 'Uns Uwe'

Uwe als Buttje mit Lederball, Uwe auf Schneeboden im Stadion Rothenbaum, Uwe im Nationaldress, Uwe beim Autogrammschreiben, Uwe mit 'Vadder' Erwin, Mutter Anny und Schwester 'Purze...
HBZ · 1/2024
 

Geschichten aus Hamburgs Geschichte

Das Wappentier

Die Alsterschwäne symbolisieren seit Jahrhunderten Hamburgs Unabhängigkeit....
HBZ · 1/2024
 
 
 
 

TOP