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Beschleunigerzentrum von Weltklasse

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY)

Beschleunigertunnel des Freie-Elekronen-Röntgenlasers FLASH, Foto: (c) DESY / Heiner Müller-Elsner
Beschleunigertunnel des Freie-Elekronen-Röntgenlasers FLASH, Foto: (c) DESY / Heiner Müller-Elsner

Auf einem großflächigen Areal westlich der Luruper Chaussee, das vor dem Zweiten Weltkrieg zum ehemaligen Flugplatz Altona-Bahrenfeld (Seite 12 und 13 dieser HBZ) gehörte, entstand im Laufe der letzten sechs Jahrzehnte eines der weltweit führenden Forschungszentren im Bereich der Teilchenphysik und Photonenforschung.

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron, kurz DESY, ist Teil der Helmholtz-Gemeinschaft und eines der weltweit führenden Zentren für Teilchenbeschleuniger. Teilchenbeschleuniger sind Supermikroskope, mit denen die Forschung mit jeder Beschleunigergeneration immer detaillierter in den Mikrokosmos und die Nanowelt vorrücken kann, um die Geheimnisse der Materie zu erforschen.

Nuklearzeitalter und moderne Wissenschaften

Mitte der 1950er-Jahre strebten zahlreiche Länder, darunter vor allem die USA, nach neuen Erkenntnissen der sich noch in den Kinderschuhen befindlichen Teilchenphysik. Besonders die europäischen Staaten fürchteten, auf diesem grundlegenden Forschungsfeld den Anschluss zu verlieren. Ein Grund, warum im Jahr 1954 im schweizerischen Genf das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, gegründet wurde. Die Großforschungseinrichtung zur physikalischen Grundlagenforschung mithilfe großer Teilchenbeschleuniger war auch für die Realisierung von DESY eine treibende Kraft, da viele deutsche Physiker nicht hinter den internationalen Forschungsansätzen zurückstehen wollten. Mit einem Staatsvertrag besiegelten der damalige Bürgermeister Max Brauer und der zuständige Bundesminister Balke 1959 die Gründung der Stiftung Deutsches Elektronen-Synchrotron.

Jentschkes Vision

Bereits ein Jahr nach der Gründung von DESY wurde deutlich, um welch ein gigantisches Forschungsprojekt es sich handeln würde. Der Bau des ersten komplexen Forschungszentrums beinhaltete den 300 Meter langen, ringförmigen Synchrotron-Teilchenbeschleuniger DESY sowie diverse Hallengebäude für experimentelle Zwecke, Bürogebäude und Werkstätten. Urvater des neuen Hamburger Forschungszentrums war der aus Österreich stammende Physiker Willibald Jentschke, der nach dem Krieg eine Professur in den USA angenommen hatte und 1956 an die Universität Hamburg wechselte. Jentschke hatte seine Berufung stets mit der Forderung nach einer modernen Forschungsanlage für Teilchenbeschleunigung unterstrichen und erhielt nun nicht nur den Vorsitz über das DESY-Direktorium sowie eine Vielzahl junger motivierter Wissenschaftler, sondern auch für die damalige Zeit unglaubliche finanzielle Fördermittel. Allein der Hamburger Senat bewilligte in den Planungsanfängen eine stolze Summe von 7,35 Millionen D-Mark.

Teilchenbeschleiniger: Tore zum
Universum

Stetig lag und liegt der Fokus des DESY-Forschungszentrums auf zukunftsorientierter wissenschaftlicher Analyse. Noch Mitte der 1960er-Jahre fragten sich Physiker aus aller Welt, ob Teilchen wie Protonen oder Neutronen aus noch kleineren Teilchenelementen bestehen könnten. Die Existenz dieser winzigen Bestandteilchen, auch Quarks genannt, war lange umstritten. Mit dem Bau des Doppelringspeichers DORIS wollte die Hamburger Wissenschaftseinrichtung der Antwort auf diese Frage näher kommen und zeigte zusammen mit einer ähnlichen Anlage in den USA im Jahr 1974, dass Quarks tatsächlich existieren. Der Doppelringspeicher DORIS nutzte die als Nebenprodukt erzeugte Synchrotronstrahlung auch für viele andere Forschungszwecke und wurde zudem zur seinerzeit stärksten Röntgenstrahlquelle Europas.

Nachdem DORIS in Betrieb genommen wurde, folgte 1978 die 2.304 Meter lange Positron-Elektron-Tandem-Ringanlage PETRA, mit der das DESY-Zentrum Hamburg endgültiges Führungsniveau in der Weltspitze auf dem Gebiet der Teilchenforschung erlangte. Bereits in den Anfängen gelang mittels PETRA eine wichtige physikalische Entdeckung: Die Physiker entdeckten das Gluon, ein Klebeteilchen, das die Kräfte zwischen den Quarks vermittelt. Mittlerweile ist PETRA III - die dritte Ausbaustufe dieses Teilchenbeschleunigers - eine superhelle Röntgenlichtquelle.

Im Jahr 1990 hob die Hadron-Elektron-Ringanlage HERA die Forschung erneut auf ein neues Level und schrieb Wissenschaftsgeschichte. HERA ermöglichte eine entgegengesetzte Teilchenbeschleunigung zweier verschiedener Teilchensorten in annähernder Lichtgeschwindigkeit. Überirdisch kann man in der Regel nur die Hallen mit den Messgeräten für die Kollisionsexperimente sehen. Fast alle Teilchenrennstrecken sind im Untergrund verborgen. HERA hat einen Ringumfang von 6.336 Metern und führt um das Gelände der Bahrenfelder Trabrennbahn, den Volkspark und das Stadion sowie um das komplette Areal des Friedhofs Altona. Der Tunnel ist zehn bis 25 Meter unter der Erde angelegt und verfügt über einen Innendurchmesser von 5,3 Metern. Der Freie-Elektronen-Laser FLASH ist einer der neuesten Beschleuniger bei DESY. Mit seinem supraleitenden Linearbeschleuniger erzeugt er Laserstrahlung im weichen Röntgenbereich. An FLASH konnte erstmals das Prinzip nachgewiesen werden, nach dem heute Röntgenlaser, wie auch der bei DESY startende und bis nach Schenefeld reichende Europäische Röntgenlaser XFEL, funktionieren. FLASH wurde 2014 ausgebaut: FLASH II nutzt den gleichen Beschleuniger, bietet aber mit einer zweiten Undulatorstrecke zur Laserlichterzeugung zusätzliche Messplätze. Zusammen mit dem 2017 eröffneten European XFEL und PETRA III bildet er quasi das "Röntgenlichtviertel Hamburgs".

Die Arbeit von DESY teilt sich in vier Schwerpunktbereiche auf: Beschleunigerforschung, Teilchenphysik und Photonenforschung in Hamburg sowie Astroteilchenphysik im 1992 integrierten Standort Zeuthen südöstlich von Berlin.

Erste Bauarbeiten auf dem DESY-Gelände 1962, Foto: (c) DESY / Reimo Schaaf
Erste Bauarbeiten auf dem DESY-Gelände 1962, Foto: (c) DESY / Reimo Schaaf

Astroteilchenphysik in Zeuthen

In Zeuten forscht DESY hauptsächlich in der Astroteilchenphysik, um die Geheimnisse von Sternexplosionen oder kosmischen Teilchenbeschleunigern zu ergründen. Hierfür wird unter anderem tief im Eis des Südpols der größte Teilchendetektor der Welt genutzt: das Neutrinoteleskop ICECUBE.

Teilchenphysik: Bausteine der Materie

In der Teilchenphysik werden die kleinsten Bausteine der Materie und die fundamentalen Grundkräfte der Natur enträtselt. In Teilchenbeschleunigern wie dem LHC am CERN in Genf rasen Teilchen auf gegenläufigen Kreisbahnen aufeinander zu und setzen bei ihrem Aufprall hochenergetische Teilchen frei. Durch diese Teilchen konnten bahnbrechende neue Erkenntnisse über die kleinsten Bausteine der Materie und die Grundkräfte der Natur gewonnen werden. Doch neue Erkenntnisse bringen auch neue Fragen mit sich. Die Zukunft der Teilchenphysik hat also gerade erst begonnen.

Beschleunigerforschung

Wegweisend ist die supraleitende Beschleunigertechnologie, die DESY gemeinsam mit internationalen Partnern entwickelt hat. Sogenannte Resonatoren, technische Meisterwerke aus hochreinem Niob, sind die Herzstücke der neusten supraleitenden Beschleunigergeneration, die Elektronen zu ihrer lichtschnellen Fahrt antreiben. Doch eine neue Beschleunigergeneration verspricht noch mehr: Sogenannte Plasmabeschleuniger könnten bis zu tausendmal kürzer sein als die heutigen Riesenmaschinen und so viel flexibler in der Forschung, Industrie oder Medizin eingesetzt werden.

Röntgenlicht und Forschung mit Photonen

Teilchenbeschleuniger sind die hellsten Röntgenquellen der Welt. Sie liefern extrem starke und gebündelte Strahlung, so kurzwellig und intensiv, dass sie allerfeinste Details in der Nanowelt sichtbar machen können: kleinste Risse und Poren in einer Turbinenschaufel, winzige Verunreinigungen in einem Halbleiter, die Position einzelner Atome in einem Eiweißmolekül. Und wenn die Forscher ihre Proben mit extrem kurzen Röntgenblitzen beschießen, können sie ultraschnelle Prozesse erfassen, etwa von einer chemischen Reaktion.

DESY-Areal heute, Foto: (c) DESY / Reimo Schaaf
DESY-Areal heute, Foto: (c) DESY / Reimo Schaaf

Wissenschaftler und Nachwuchs aus aller Welt

Jährlich nutzen über 3.000 Forscher aus über 40 Nationen die DESY-Anlagen. Auch Nachwuchskräfte bekommen eine elementare fachliche Weiterbildung bei DESY, Schüler erhalten erste Einblicke in die Forschungswelt im DESY-Schülerlabor. Als starker, innovativer Kooperationspartner legt DESY den Grundstein für Forschung in vielen anderen Naturwissenschaften. Das mit öffentlichen Finanzmitteln agierende nationale Forschungszentrum beschäftigt rund 2700 Mitarbeiter und bildet über 130 junge Menschen in gewerblichen und technischen Berufen aus.

Bahnbrechende Spitzenforschung mit Kooperationen

Kennzeichnend für die inspirierende, offene Forschungsatmosphäre bei DESY sind die internationalen Partnerschaften beispielsweise mit dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie. Internationale Zusammenarbeit kennzeichnet auch die Forschung am europäischen Röntgenlaser European XFEL. Mit seinen kurzen Lichtblitzen wollen die Forscher Filme im Mikrokosmos drehen und die Natur quasi bei der Arbeit beobachten. Voraussetzungen für den XFEL sind revolutionäre Technologien, die maßgeblich bei DESY entwickelt wurden, insbesondere die supraleitenden Beschleuniger und neuartige Elektronenquellen. DESY ist Hauptgesellschafter des European XFEL, an dem zwölf europäische Länder beteiligt sind.

Neue Medikamente durch DESYs Forschungen

Die Arbeit von DESY und den Teilchenbeschleunigern eröffnet auch auf anderen Gebieten völlig neue faszinierende Möglichkeiten. In der Medizin können neuartige Medikamente entwickelt werden, wenn sich Biomoleküle und ihr Wechselspiel atomgenau entschlüsseln lassen. Erst im April konnte die Röntgenquelle PETRA III vielversprechende Kandidaten für Corona-Medikamente ausmachen. Von fast 6.000 untersuchten Wirkstoffen konnten 37 identifiziert werden, die bei einer Erkrankung die Vermehrung des Virus bremsen können, zwei von ihnen besonders vielversprechend. Auch in der Materialforschung bringt DESY wertvolle Erkenntnisse, da beispielsweise neue leichte Werkstoffe für zukünftige Flugzeuge durchleuchtet und analysiert werden. Sogar in der Kunst leistet DESY wichtige Beiträge, da durch das besondere Röntgenlicht verborgene Schichten von Gemälden oder Schriften sichtbar werden.

Außerhalb von Pandemiezeiten finden auch geführte Touren für Interessierte sowie ein Tag der offenen Tür statt. Der VHSt plant, an einer Führung teilzunehmen, sobald es wieder möglich ist. Die HBZ hält Sie auf dem Laufenden. Bis dahin gibt es auf DESYs Website www.desy.de/schule regelmäßige virtuelle Liveführungen durch die DESY-Labors und -Forschungshallen.

Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY

Fotos: Luftbild DESY-Areal 1962, Luftbild DESY-Areal 2020 © DESY / Reimo Schaaf; Blasenkammer 1963 © DESY; FLASH © DESY / Heiner Müller-Elsner


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Autor: VHSt

HBZ · 10/2021
 
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