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Erinnerungskultur auf dem Bürgersteig

Das Stadthaus und das Gedenkort-Projekt

Das Stadthaus im Jahr 1892, Foto: (c) Staatsarchiv Hamburg
Das Stadthaus im Jahr 1892, Foto: (c) Staatsarchiv Hamburg

Das Hamburger Stadthaus zwischen Neuem Wall und Bleichenfleet blickt auf eine lange Historie zurück und wurde nach etlichen Erweiterungs- und Umbauten für unterschiedliche Zwecke verwendet.

Seine Nutzung während des Nationalsozialismus und die daraus resultierende Forderung nach einer ständigen Hamburger Gedenkstätte waren in den letzten Jahrzehnten immer wieder Inhalt kontroverser Diskussionen.

Palais, Rathaus und Gestapozentrale

Der ursprüngliche Erweiterungsbau des Hamburger Stadthauses geht auf das ab dem Jahr 1710 errichtete Görtz-Palais zurück. Vom Architekten Johannes Nicolaus Kuhn entworfen, war der Barockbau als großzügige Stadthausresidenz für den Minister und Gesandten von Schleswig-Holstein-Gottorf, Heinrich von Görtz, gedacht. Zur Zeit der französischen Besatzung durch Kaiser Napoleon diente das Palais zwischen 1811 und 1814 als Rathaus.

Zum Ende des Jahrhunderts begann der Bau der Stadthausbrücke, die einen Übergang von der Altstadt in die Neustadt schaffen sollte. Im Rahmen dieser Maßnahmen erfuhr auch das Stadthaus zwischen 1888 und 1892 erhebliche Erweiterungen: Es entstand der neue auffällige Gebäudetrakt an der Ecke Stadthausbrücke- Neuer Wall mit seinem von einer Kuppel überzogenen Turm und dem Vertikalelement.

In diesem Bereich wurde auch ein repräsentativer Eingangsbereich geschaffen, über dem eine Balkonbrüstung mit dem Hamburger Staatswappen prangt. Im Rundbogen des Eingangsportals ist ein Medaillon mit Ölbaumzweigen sowie die in goldenen Lettern unterlegte Inschrift "Salus Populi suprema lex esto" (Das Wohl des Volkes sei uns oberstes Gesetz) eingefügt. Zwischen 1914 und 1923 wurde durch den Hamburger Stadtplaner und Oberbaudirektor Fritz Schumacher ein weiterer Gebäudeanbau über das Bleichenfleet realisiert.

Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten im März 1933 waren im Stadthaus auch Kräfte der Hamburger Staatspolizei untergebracht, die umgehend von Einheiten der SA und SS ersetzt wurden. Zwei Jahre später wurde das Stadthaus zum Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und damit zum Ort von Verfolgung, Misshandlung und Folter. Über die besondere Rolle des Gebäudes und der Staatspolizeibehörden während der nationalsozialistischen Diktatur informiert eine Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Hamburg Neuengamme.

Im Jahr 1943 wurde das Stadthaus fast gänzlich zerstört, Foto: (c) Staatsarchiv Hamburg
Im Jahr 1943 wurde das Stadthaus fast gänzlich zerstört, Foto: (c) Staatsarchiv Hamburg

Baubehörde und erste Initiativen

Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstörten das Stadthaus nahezu vollständig. Beim Wiederaufbau in der Nachkriegszeit wurde auf viele Details verzichtet und lediglich die Funktionalität berücksichtigt.

Der Gebäudekomplex wurde zunächst von der Hamburger Baubehörde bezogen und war nachfolgend bis in das Jahr 2013 Sitz der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. In den 1960er-Jahren entstanden im Kontext der Studentenbewegung erste Forderungen, die Schrecken des Nationalsozialismus auch in Hamburg zu thematisieren. Es dauerte bis zum Ende der 1970er-Jahre, die Funktion des Hamburger Stadthauses als Schaltzentrale der NS-Willkür in ein breiteres öffentliches Bewusstsein zu rücken. So organisierte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) zusammen mit dem Landesjugendring alternative Stadtrundfahrten, bei denen über das Stadthaus und die dortigen Gestapoverbrechen aufgeklärt wurde.

Diskurs und politische Debatte

Die Gewerkschaft ÖTV, in der auch zahlreiche Beschäftigte der Baubehörde organisiert waren, und stetig wiederkehrende Mahnwachen von ehemals Verfolgten unterstützten die Bemühungen um den verantwortungsbewussten Umgang mit der Geschichte. So gelang es, im Jahr 1981 zumindest eine Gedenktafel am Stadthaus durchzusetzen. Der große Diskurs und eine politische Debatte über die Installation einer Gedenkstätte mit historischer Dokumentation blieben allerdings aus. In den nachfolgenden Jahren wurden vor dem Eingangsbereich an der Stadthausbrücke Nummer 8 lediglich drei kleine Gedenktafeln als Teil der Projektinitiative "Stolpersteine" in den Gehweg eingelassen. Sie erinnern exemplarisch an drei der vielen Opfer, die im Stadthaus von den Nationalsozialisten umgebracht wurden.

Im Jahr 2008 strebte der schwarz-grüne Hamburger Senat die Privatisierung und den Verkauf des Gebäudekomplexes an eine Immobilien GmbH an. Eine Prämisse hierbei war die Zusicherung des neuen Investors zur Errichtung einer dauerhaften Gedenkstätte, die mindestens 750 Quadratmetern Grundfläche haben sollte.

Schwierige Aufarbeitung

Erst nach dem Verkauf für 54 Millionen Euro und der anschließenden Entkernung und Grundsanierung folgten die längst fällige Aufarbeitung und öffentliche Aufmerksamkeit. Zwar wurde das gesamte Gebäudeensemble 2009 unter Denkmalschutz gestellt, doch die Möglichkeit, hier einen Baustein der Hamburger Erinnerungskultur zu legen, hatte bereits erheblichen Schaden genommen. Joist Grolle, damals Vorsitzender des Vereins für Hamburger Geschichte, hatte in diesem Zusammenhang noch vor dem Verkauf des Objektes von einer echten Bewährungsprobe gesprochen. In einem Teil des 2018 realisierten Neubaus wurde schließlich eine Buchhandlung mit einem integrierten Café untergebracht, die auch den zugesagten Gedenkort organisatorisch betreuen sollte.

Rund 50 Quadratmeter inmitten des alltäglichen Ladengeschäftes verblieben für den Anspruch, den Opfern der Gestapogewalt ein würdiges Mahnmal zu schaffen. Kritik und die Empörung folgten prompt. Die Ausstellungsfläche sei so gering, dass nicht einmal eine einzige Schulklasse Zugang finden würde, bemerkte Detlef Garbe, der ehemalige Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Ein Teil der Ausstellungsfläche, der an die Opfer des Nationalsozialismus an diesem historischen Ort erinnert
Ein Teil der Ausstellungsfläche, der an die Opfer des Nationalsozialismus an diesem historischen Ort erinnert

Lösungsansätze am runden Tisch

Nach etlichen Protesten und Initiativen von Hamburger Bürgern berief die Politik einen Beirat zum Geschichtsort Stadthaus ein, zusammengesetzt aus zehn Vertretern von Wissenschaft, Verbänden und Initiativen. Die Moderation des Beirates erfolgte durch den ehemaligen Staatsrat der Hamburger Justizbehörde, Hans-Peter Strenge. Nach Analyse der historischen Fakten und der aktuellen Bedingungen suchte der Beirat Lösungskonzepte zur Realisierung einer angemessenen Gedenkstätteninterpretation und entschied sich für ein Kunstausschreibungsprojekt.

"Stigma": denkanstoßgebender Störer

Das Mahnmal wird in Form der Kunstinstallation "Stigma" von Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper, dem Künstlerinnen-Duo "Missing Icons" realisiert. Stigma bildet eine hellrote Narbe im gerade fertig restaurierten Hamburger Stadtraum. Für das Kunstwerk wurden Hunderte der hellen Gehwegplatten aus Granit, mit denen die Stadthausbrücke gepflastert ist, zerschlagen und die Platten entlang der Bruchkanten entnommen. Die zerklüfteten Vertiefungen wurden mit weichem schwarzem Gummigranulat und einer fleischfarbenen Deckschicht ausgegossen.

Die Künstlerinnen erklären dazu, dass "die markant federnde Bruchspur bei jedem Schritt über das Trottoir nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar sein wird". Passanten, die das Bodenrelief "Stigma" betreten, geraten unweigerlich ins Nachdenken über Sinn oder Unsinn der Bruchspur vor den Stadthöfen: "Warum fand genau hier eine offensichtlich mutwillige Zerstörung statt, die als Narbe sichtbar bleibt? Dies regt zur weiteren Erforschung der Hintergründe an. Mahnmal und vermittelnde Ausstellung treten so in einen komplexen Dialog", so Vorkoeper und Knobloch. Die Bauarbeiten der rund 280.000 Euro teuren und 200 Quadratmeter umfassenden Installation begannen im Oktober 2021, sollen bis Mai 2022 abgeschlossenen sein und werden filmisch festgehalten. Die begleitende Dokumentation wird als Teil des Stigma-Projektes in der Ausstellung zu sehen sein.

Angemessene Neugestaltung in Sicht?

Für die Umgestaltung und konzeptionelle Ausrichtung des Gedenkortes Stadthaus wird es zudem in Zukunft eine spezielle Beleuchtung der Brückenarkade und regelmäßige Führungen sowie Veranstaltungen geben. Dazu sagte Senator Dr. Carsten Brosda: "Die Behörde für Kultur und Medien, die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte und der Eigentümer führen aktuell Gespräche und loten Konditionen aus, damit die Stiftung den Betrieb der Gedenkstätte auf der vollständigen Fläche übernehmen kann. Gemeinsamer Anspruch muss es sein, diesen erinnerungskulturell wichtigen Ort als Gedenk- und Lernort weiterzuentwickeln." Bleibt zu hoffen, dass die neuen Verhandlungen den gewünschten Erfolg bringen.

Quellen: Behörde für Kultur und Medien, Gedenkstätten in Hamburg, missingicons.de, Beiratsberichte zum Geschichtsort Stadthaus, TAZ, Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen (SHGL)

Fotos: Stadthaus 1892 und 1943 © Staatsarchiv Hamburg; Fotos der Ausstellung; © SHGL, Fotografin: Kati Jurischka, 2020

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Autor: Samira Aikas

HBZ · 05/2022
 
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