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Alexander Estis: Fluchten

Alexander Estis: Fluchten. Edition Mosaik 2022. 10 Euro.
Alexander Estis: Fluchten. Edition Mosaik 2022. 10 Euro.
Der Schriftsteller und Kolumnist Alexander Estis wurde 1986 in einer jüdischen Künstlerfamilie in Moskau geboren. 1996 siedelte er mit seinen Eltern nach Hamburg über. Seit 2016 lebt er als freier Autor in Aarau.

Estis arbeitet vorwiegend in literarischen Kleinformen. Deren besonderes Kennzeichen ist - neben der stilistischen Diversität - die Verschmelzung von prosaischer und metrischer Form, von Satire und Ernst, von Essayistischem und Belletristischem sowie von Wort und Bild.

Neu erschienen: Fluchten

Im Oktober 2022 erschien Alexander Estis' sechstes Buch Fluchten. Niemand, der nicht schon einmal die Flucht ergreifen wollte - ob vor dem Krieg, vor einer Umweltkatastrophe oder einer Hungersnot, ob aus einer langweiligen Gesellschaft, einem sklavischen Arbeitsverhältnis, dem Familiengefüge, der gewohnten Identität oder einer belastenden Beziehung. Estis' neuer Band erzählt von gewollten oder ungewollten, realistischen oder absurden, erfolgreichen oder missglückten Fluchtversuchen. Die kurzen Prosastücke, die vielfach ins Grotesk-Surreale hinüberspielen, beleuchten das Phänomen der Flucht aus den verschiedensten Perspektiven, in unterschiedlichen Formen und Stilen.

Ungewollt aktuell

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat das Thema Flucht eine neue, tragische Relevanz bekommen. Estis hat sich vor diesem Hintergrund vertieft mit realen Fluchtgeschichten von Menschen aus der Ukraine und Russland befasst. Auch die mehrfache Fluchtgeschichte seiner Familie rückte für den Autor erneut in den Vordergrund: Nachdem die Familie schon 1942 aus Kiew vor den Bomben floh, mussten Teile der Familie dies jetzt, 80 Jahre später, erneut tun. So enthält die Sammlung auch leicht fiktionalisierte Fluchtgeschichten von großer Aktualität und Tragik. Die nachstehenden Leseproben geben einen Eindruck, was die Leserinnen und Leser erwartet.

Aus Fluchten

Der Schalterbeamte

Als Schalterbeamter war Klaus Günther ein Virtuose. Noch während er den vorigen Bittsteller abfertigte, indem er mit der Linken den Stempel, mit der Rechten den Stift zu schwungvoller Paraphierung ansetzte, begrüßte er bereits - nicht unfreundlich zwar, aber doch mit gebührendem Ernst - den nächsten und öffnete schon wenige Sekunden später, an dessen Erscheinung und Tonfall nahezu unfehlbar das Anliegen des betreffenden Behördenganges ablesend, mit der Fußspitze diejenige Schublade, welche die jeweiligen Amtsvordrucke enthielt. Gerade angesichts dieser einzigartigen Virtuosität hatte niemand erwartet, dass Klaus Günther dem Dienst auf einmal ohne Angabe gewichtiger Gründe fernbleiben würde. Unter Kollegen erzählte man sich, er sei Organist einer Dorfkirche bei Olching geworden; und auf Berichte von Beamten ist in der Regel Verlass.

Lust

Eines Tages ging der Menschheit die Lust aus. Das war keine Überraschung, denn die Lust hatte kontinuierlich abgenommen; und doch wirkte dieses Ereignis irgendwie plötzlicher, irgendwie realer, als man es sich zuvor hatte vorstellen wollen. Einige Milliardäre entkamen in den Kosmos, um nach etwas zu suchen, das ihnen noch hätte Lust bereiten können, verloren allerdings alsbald die Motivation für diese Suche und waren schon kurz davor, wieder zur Erde zurückzukehren, als sie feststellten, dass ihnen auch daran nichts mehr gelegen war. Sie hätten durchaus begreifen können, dass sie in einem Teufelskreis der Lustlosigkeit gefangen waren, doch auch zu dieser geistigen Anstrengung verspürten sie keinerlei Veranlassung, weshalb sie nunmehr in der Schwebe des Alls verblieben.

Ruß

Sonntagmorgen beginnt der Krieg. Als in Kiew die Bomben fallen, laufen alle zum Botanischen Garten, denn jemand hatte gesagt, man müsse sich unter Bäumen verstecken. Polja neigt sich schützend über ihre Kinder, als könne sie die Bomben abwenden; oben schneiden die Suchscheinwerfer in den Himmel, oben irrlichtern die Flieger. Dann setzt Polja mit ihren Kindern in einem Schiff nach Dnepropetrowsk über, auf dem dortigen Frachtenbahnhof steigen sie in einen Zug, in offene Güterwagen, bestimmt für den Kohletransport. Der schwarze Staub wirbelt auf, von den Wanden, vom Boden, alles ist bedeckt von Ruß, jede Faser, jede Hautfalte, jede Pore, und es ist, als würde dieser Ruß nie wieder abgehen, nicht von ihnen, nicht von ihren Kindern, nicht ihren Kindeskindern, und schon Donnerstagmorgen beginnt wieder der Krieg, und als in Kiew die Bomben fallen, steigt Poljas Urenkelin in den Zug.

Friedrich

Ein Mensch, den man Friedrich nennen könnte, sicherlich aber auch Friederike oder Fridolin, lebte in einer größeren Kleinstadt, höchstens aber in einer kleineren Großstadt. Eigentlich konnte Fridolin alles tun, worauf er Lust hatte, zum Beispiel Friedrich sein oder Friederike oder sogar Gerlinde oder ein Hund oder ein quecksilberfreies Fieberthermometer, doch darauf hatte er, wie überhaupt auf all die Freiheiten seiner speziellen Existenz, keine Lust, sodass er eines Tages beschloss, aus der Fiktion auszubrechen, was ihm, gerade dank dieser, leichthin gelang - freilich nicht zu seiner Befriedigung, denn schon bald musste er feststellen, dass die Realität nur ein dürftiger Ersatz für die Fiktion ist.


Autor: VHSt

HBZ · 11/2022
 
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