
Paradies für Schnäppchenjäger
Stilbruch - ein Tochterunternehmen der Stadtreinigung Hamburg
Eingangs- und Kassenbereich der Stilbruch-Filiale Wandsbek
Ein städtisches Start-up, das sich schon seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreich am Markt behaupten kann? Ja, das gibt es! Das vor 23 Jahren als Tochterunternehmen der Hamburger Stadtreinigung (SRH) gegründete Gebrauchtwarenkaufhaus "Stilbruch" ist mit seinen beiden Filialen so erfolgreich, dass der "Sprung über die Elbe" nach Harburg geplant ist.
"Der Bedarf ist in dieser Region da", sagt Stilbruch-Geschäftsführer Dieter Zimmer (61). "Wir müssen nur einen passenden Standort finden, der mit uns wachsen kann." Das Gute dabei: Wenn Stilbruch wächst, verkleinert sich der Müllberg, weil die Dinge in Hamburgs größtem Secondhand-Kaufhaus ein neues Leben bekommen.
Neues Leben für alte Dinge
Derzeit gibt es zwei Niederlassungen des Gebraucht- und Schnäppchenmarkts - in Altona und Wandsbek. Obwohl die letztgenannte Filiale etwas abseitig in einem Gewerbegebiet liegt, herrscht dort an allen Wochentagen rege Betriebsamkeit. Wer mit dem Auto anreist, findet auf dem betriebseigenen Gelände an der Helbingstraße meist nur schwer einen Parkplatz.
Im Verkaufsraum begrüßt Geschäftsführer Dieter Zimmer, der auch die Leitung der zwölf Hamburger Recyclinghöfe innehat, den Besucher mit einem kräftigen Handschlag und bittet in das Büro. Dort, im ersten Stock, prangt stilecht das Konterfei des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR-Volkskammer Erich Honecker an der Wand. Eine Uhr aus den 1950er-Jahren baumelt etwas verloren wirkend an einem edel verarbeiteten Holzschrank mit Fenstern aus gelbem Glas; rechts daneben prangt ein Werbeplakat, das ursprünglich aus dem Stadion des FC St. Pauli stammt und am Millerntor ausgemistet worden ist. Man merkt sofort: Die Mitarbeiter sitzen direkt an der Quelle und haben ihren Arbeitsplatz mit skurrilen und etwas aus der Zeit gefallenen Utensilien geschmückt.
Geschirr, Gläser, Nippes, Bücher - in dem Gebrauchtwarenkaufhaus gibt es fast alles
Auch die Kundschaft darf sich freuen. Die Auswahl aus nützlichen, günstigen oder bisweilen seltsamen Dingen ist bei Stilbruch groß. In Wandsbek lockt Ausgemustertes - vom Fahrrad bis zur Blumenvase, vom Kartenspiel bis zum Abendkleid - täglich Hunderte Besucher. Die verlassen das 1.900 Quadratmeter große Kaufhaus nur selten mit leeren Taschen - der Kaufimpuls ist angesichts der meist niedrigen Preise einfach zu groß. "Was uns auszeichnet, ist die sinnstiftende, nachhaltige Tätigkeit", sagt Dieter Zimmer. "Bei Stilbruch bekommen die Dinge ein drittes oder viertes Leben. Dabei bieten wir für jedes Portemonnaie etwas an." Damit ein Laden wie Stilbruch funktioniert, müsse man ein Vollsortiment anbieten, betont der studierte Diplom-Verwaltungswirt.
In den beiden Niederlassungen gingen im letzten Jahr 428.000 Artikel über die Tresen. Die meisten Dinge stammen aus privaten Anlieferungen (55 Prozent) und Sammlungen der ein Dutzend Hamburger Recyclinghöfe (39 Prozent) sowie der "schonenden Sperrmüllabfuhr" (6 Prozent), zu der auch Haushaltsauflösungen zählen. Aber auch ausgemistete Ausstattungen von Kreuzfahrtschiffen finden den Weg zu Stilbruch.
Schätze für die Kundschaft
Darüber freuen sich dann die Kunden, die Zimmer als "von bis", "kunterbunt" und "mit uns alt geworden" beschreibt. Das Publikum im 2001 eröffneten Stammsitz Wandsbek ist älter als im hippen Altona, wo Schnäppchenjäger seit 2006 im heute 1.400 Quadratmeter großen Kaufhaus frei nach dem Stilbruch-Motto "Finde Deinen Schatz" stöbern können. Dort befindet sich seitdem nicht nur eine Elektrowerkstatt im Obergeschoss, sondern an diesem Standort startete auch die Vermarktung von Alttextilien unter dem Slogan "Flotte Klamotte". Auch eine echte Erfolgsgeschichte.
Willkommen bei Stilbruch in Wandsbek!
Apropos Schatz: Den könnten Sparfüchse manchmal wirklich heben, sagt Dieter Zimmer: "Wir wissen nicht alles, richtige Schnäppchen sind also möglich." Doch auch für kleine Freuden im Leben sorgt Stilbruch: "Einmal fand eine Frau bei uns zwei fehlende Teller für ihr Service." Die Dame zog überglücklich von dannen. Demnächst wird die 25-jährige Tochter von Dieter Zimmer vorbeischauen und stöbern: "Sie studiert momentan und will umziehen." Deshalb werde sie bald zusammen mit ihrem Vater bei Stilbruch nach geeigneten Einrichtungsgegenständen suchen. Dass einige Dinge ihres neuen Zuhauses ein Vorleben haben werden, stört sie nicht. "Junge Leute nehmen den Nachhaltigkeitsgedanken heute sehr ernst", sagt Dieter Zimmer. Eine Kundenbefragung bestätigt dies. Für 60 Prozent der Interviewten ist das Thema "Nachhaltigkeit" wichtig. 54 Prozent schätzen die "Flohmarkt-Atmosphäre", für 40 Prozent steht der "soziale Gedanke" im Vordergrund und 39 Prozent kommen (auch) wegen der "günstigen Preise". Mehrfachnennungen waren möglich.
Wirtschaftlich erfolgreich
Der Umsatz von Stilbruch hat sich 2023 gegenüber 2022 leicht erhöht und liegt nun bei rund 3,6 Millionen Euro. Das meiste Geld machen die beiden Gebrauchtwarenkaufhäuser mit Glas und Porzellan (20,1 Prozent), Möbeln (20 Prozent), Textilien (16,5 Prozent), Elektrogeräten (11,8 Prozent) und Büchern (7,5 Prozent). Der Rest des Umsatzes speist sich aus dem Verkauf von Medien, Spielwaren, Fahrrädern sowie Sport- und Freizeitartikeln.
Wirtschaftlich erfolgreich
Der Umsatz von Stilbruch hat sich 2023 gegenüber 2022 leicht erhöht und liegt nun bei rund 3,6 Millionen Euro. Das meiste Geld machen die beiden Gebrauchtwarenkaufhäuser mit Glas und Porzellan (20,1 Prozent), Möbeln (20 Prozent), Textilien (16,5 Prozent), Elektrogeräten (11,8 Prozent) und Büchern (7,5 Prozent). Der Rest des Umsatzes speist sich aus dem Verkauf von Medien, Spielwaren, Fahrrädern sowie Sport- und Freizeitartikeln.
Dabei gibt es eine neue Tendenz: Der langjährige Topseller Möbel wurde durch Glas und Porzellan abgelöst, auch Textilien drängen nach. "Besonders Schrankwände sind out, Kleinmöbel werden häufiger nachgefragt", sagt Zimmer und fügt hinzu, dass es sich ohnehin nicht mehr rechne, Möbel aufwendig aufzubereiten. Auch das Geschäft mit Fahrrädern ist kein Selbstläufer. In Osdorf am Brandstücken befindet sich die Fahrradwerkstatt des Unternehmens. "Dort zwei Tage an einem Rad herumzuschrauben, lohnt sich nicht", sagt Zimmer. Es gibt allerdings Ausnahmen. Manchmal werden bei der Stadtreinigung von Privatleuten auch exklusive Räder abgeliefert, so vor einigen Jahren drei Stück im Wert von jeweils 1.000 Euro. Die Drahtesel stammten aus einer Haushaltsauflösung.
Geschichte und Zukunft
Die Stilbruch-Filiale in Wandsbek wurde im Juli 2001 eröffnet. Ziel war es, die Müllproduktion zu verringern und nachhaltiger zu wirtschaften. Dafür wurde das Prinzip der "schonenden Sperrmüllabfuhr" erfunden, die zwischen Abfall und brauchbaren Dingen unterscheidet. Verwertbares wurde damals zunächst in den Lagerhallen der Stadtreinigung Bedürftigen und sozialen Einrichtungen zum Kauf angeboten. Doch weil zu viele Stücke zum Schreddern zu schade waren, gab es bald ein Platzproblem - die Gründungsstunde von Stilbruch hatte geschlagen.
Seinen einprägsamen Namen verdankt das Tochterunternehmen der Stadtreinigung dem pfiffigen Einfall einer Werbeagentur. Diese schlug mehrere Namen vor, aus denen sich die damalige Geschäftsleitung nach einer längeren Findungsphase für "Stilbruch" entschied. Eine gute Wahl! Nach einer Anschubfinanzierung dauerte es nur 18 Monate, bis schwarze Zahlen geschrieben wurden. Nur einmal, während der Pandemie, geriet das Unternehmen in Schwierigkeiten, berichtet Zimmer: "Corona hat uns fast gekillt!" Nach fünf Monaten Kurzarbeit ging es wieder aufwärts, 2023 konnte ein sechsstelliger Gewinn verbucht werden.
Aktuell sucht die Geschäftsleitung einen dritten Standort "südlich der Elbe". Vor einigen Jahren gab es schon einmal einen Pop-up-Store in einem Harburger Einkaufszentrum, doch die zeitlich begrenzt existierende Location habe sich als zu klein erwiesen. Zu den Zukunftsplänen gehört auch die Erweiterung des Standorts in Altona von derzeit 1.500 auf 2.000 Quadratmeter.
Neue Chancen auch für Menschen
Aktuell hat Stilbruch 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, alle seit 2011 mit Arbeitsverträgen vom ersten Arbeitsmarkt ausgestattet. "Bei uns sind viele Menschen mit Migrationshintergrund und gebrochenen Lebensläufen beschäftigt", erzählt Zimmer: "Ein halbes Jahr Leerlauf im Lebenslauf war damals noch ein Makel. Bei uns haben diese Menschen eine Chance bekommen - und genutzt." Einige hätten keinen Schulabschluss oder das Studium beziehungsweise eine Ausbildung abgebrochen. Doch alle Mitarbeiter brächten ein besonderes Talent mit, beschreibt der Geschäftsführer die bunte Belegschaft: "Der eine kennt sich mit Büchern aus, der andere mit Tonträgern. Das muss man nicht von der Pike auf gelernt haben, sondern ein Faible für die Dinge mitbringen." Dann sei man bei Stilbruch genau richtig. Einmal stellte sich ein Mann mit Vinyl- Expertise vor und behauptete: "Wenn ihr mich einstellt, verdopple ich euren Schallplattenumsatz." So kam es!
Einer, der sich besonders gut mit Büchern auskennt, ist Hannes Erxleben. Für den gebürtigen Magdeburger ist seine Tätigkeit, die er seit rund einem Jahrzehnt ausübt, ein Traumjob: "Ich habe seit meiner Kindheit viel gelesen und später in Buchläden gearbeitet." In einer kleinen Buchhandlung habe er einen Stilbruch-Mitarbeiter kennengelernt, der ihn nach seinem Ausscheiden als Nachfolger empfahl. Erxleben, der sein Geschichts-, Politik- und Philosophiestudium abgebrochen hatte, fing zunächst auf 400-Euro-Basis an und wechselte später in die Vollzeit.
Die Quellen der Schätze, die der "Bücherjunkie" sichtet, auspreist und in die Regale einsortiert, sind prall mit Lesestoff gefüllte Kisten, die bei den Recyclinghöfen landen. Sie stammen aber auch von privaten Spendern, die einen Beutel mit Büchern bringen, oder aus Haushaltsauflösungen. "Kürzlich wurde uns die Büchersammlung eines Antiquariats aus Volksdorf angeboten", sagt der 45-Jährige, für den der Schauspieler Peter Sodann ein "Leitbild" ist: Sodann rettete Massen an DDR-Literatur vor dem Schreddern. Ähnlich agiert Erxleben: "Ich kuratiere hier." Seine Kunden seien Buchliebhaber, Händler, Journalisten, aber auch Durchschnittsleser, jedoch nur wenige junge Leute: "Wichtig ist, ein breites Spektrum an Literatur anzubieten." Dreimal im Jahr findet ein Sonderverkauf mit seltenen, wertvollen oder skurrilen Einzelstücken statt.
Vielfältige Belegschaft
Stilbruch zahlt Gehälter, die über dem Mindestlohn liegen, hat mit der Gewerkschaft ver.di einen Tarifvertrag abgeschlossen und kürzlich eine Erhöhung der Bezüge im zweistelligen Bereich ausgehandelt. Reich werden kann man bei Stilbruch nicht, aber die sinnvolle Tätigkeit überzeugt die Belegschaft. Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern sind bei dem städtischen Unternehmen beschäftigt. "Unsere Kollegen kommen aus Chile, Russland, Thailand, Eritrea, Indonesien, Polen und anderen Ländern", sagt Antonio de Oliveira, Filialleiter der Wandsbeker Niederlassung. Er selbst hat als gebürtiger Portugiese ebenfalls einen Migrationshintergrund, drückt dem Fußballclub FC Porto die Daumen und seufzt: "Der Club ist derzeit leider nur Tabellendritter in der Liga." Stilbruch sei wie eine "große Familie", betont Geschäftsführer Zimmer, Zwist zwischen den einzelnen Nationalitäten herrsche nicht.
Auch der soziale Gedanke wird bei Stilbruch großgeschrieben. Deshalb unterstützt das Unternehmen Kitas mit Sachspenden oder engagiert sich in der Flüchtlingshilfe, bei der Wohnungen für Asylsuchende ausgestattet werden. Das meiste aber landet in den Läden. Befragt nach den skurrilsten Dingen, die er verkauft hat, überlegt Antonio de Oliveira kurz: "Da waren Sachen dabei, wo wir nicht wussten, was das ist."
Bildergalerie
Zum Vergrößern Bild anklicken.
Autor: Volker Stahl
Fotos: (c) stahlpress / Stilbruch
HBZ · 05/2024
Weitere Meldungen:
Urbane Skurrilitäten
Fotograf Enver Hirsch dokumentiert Facetten der städtebaulichen Dynamik Hamburgs....
HBZ · 4/2025
Stadt ohne Sterne
Fähranleger Teufelsbrück in Klein Flottbek am 10. Januar 2024 zwischen 20 und 22 Uhr: Studierende einer "Fachgruppe Dark Sky" der Hochschule für A...
HBZ · 4/2025
Das Hamburg-Rätsel
Liebe Leserin und lieber Leser, mit unserem Hamburg-Rätsel können Sie testen, wie gut Sie Hamburg kennen....
HBZ · 4/2025
Denken Sie dran: neuer Kurs
Die erste Runde des VHSt-Gedächtnistrainings war ein voller Erfolg. Aber wir erinnern uns: Beim Training gilt es dranzubleiben!...
HBZ · 4/2025
Editorial
Liebe Mitglieder des VHSt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der neue Erscheinungsrhythmus der HBZ befremdet mich noch ein wenig. Wie kann es sein, dass jetzt schon wieder April ist?...
HBZ · 4/2025
Aufgeblättert: Buchtipp
Der Profifußball ist eine schnelllebige Angelegenheit. Hürzeler, Hartel, HSV - dieses Trio setzte für den FC St. Pauli die Reizpunkte in der Aufstiegssaison 2023/24....
HBZ · 1/2025