Geschlechtersensible Sprache
Gendern in der Hamburger Verwaltung
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Im Oktober 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Gesetzgeber einen dritten Geschlechtseintrag im Behördenregister ermöglichen müsse. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass es Menschen gibt, deren geschlechtliche Identität nicht eindeutig 'männlich' oder 'weiblich' ist.
In Deutschland leben ca. 80.000 bis 120.000 Intersexuelle, die bis dahin keine Möglichkeit hatten, sich positiv einem Geschlecht zuzuordnen. Seit Dezember 2018 gibt es für sie auf behördlichen Formularen ein drittes Geschlecht: den Geschlechtseintrag "divers".
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führte zu einigem Aufruhr. Dabei ist das Phänomen der Intersexualität alles andere als neu: Die Historie des dritten Geschlechts reicht bis auf Überlieferungen aus dem alten Assyrien und Babylonien zurück, fast 4000 Jahre. Es ist aus allen Kulturkreisen und Erdteilen bekannt. Insofern ist die Debatte ums Gendern, die in den Monaten vor der Bundestagswahl wieder einmal besonders hitzig geführt wurde, eigentlich völlig unverständlich. Denn spätestens wenn wir nun auch offiziell ein drittes Geschlecht haben - was anderes soll denn passieren, als dass sprachlich darauf reagiert wird?
Sprache ist im ständigen Wandel
Schließlich ist daran, dass Sprache und Sprachgebrauch sich verändern, ja nun überhaupt nichts Neues: ob Diphthongierung, Monophthongierung, erste und zweite Lautverschiebung, Lehnworte, Wortneuschöpfungen - die deutsche Sprache war und ist schon immer in ständiger Entwicklung. Wer sich wundert, die eigenen Kinder und Enkel nicht mehr zu verstehen, hat nur vergessen, dass bereits die Eltern und Großeltern darüber klagten. Dieser Wandel betrifft auch die Schriftsprache: An das "dass" ohne "ß" mussten viele sich erst gewöhnen, ebenso an "Fotografie" und "Schifffahrt". Selbst die Grammatik entwickelt sich, siehe z. B. die Nutzung vom Dativ statt des Genitivs. Warum also sollte ausgerechnet das generische Maskulinum in Stein gemeißelt bleiben? Was spricht gegen "Leser:innen", "Leser_innen" oder "Leser*innen"? Warum der Aufruhr der Sprachpolizisten, die gegen die "Verhunzung der deutschen Sprache" wettern? Und wer ist eigentlich "ideologisch" unterwegs, wenn es etwa die taz ihren Autor:innen offenlässt, ob und wie sie gendern, während die FAZ es ihren Autoren ausdrücklich untersagt?
Gendern in der öffentlichen Verwaltung
Jedenfalls scheint es nur folgerichtig, dass sich infolge des eingangs erwähnten Urteils nicht allein die Wahlmöglichkeiten bei Geschlechtseinträgen auf behördlichen Formularen verändert haben. Auch die Sprache, in der die Behörden mit den Menschen kommunizieren, wandelt sich. Inzwischen verwenden mehr als 70 Landkreise und kreisfreie Städte gendersensible Formulierungen.
Vielfalt in der Ausgestaltung
Die Stadt Freiburg etwa nutzt seit Anfang 2018 den sogenannten Gender-Gap, um alle Bürger_innen der Stadt anzusprechen. Hannover tut dies seit Anfang 2019 mithilfe des Gender-Sterns ("Bürger*innen"). Die altehrwürdige Hansestadt Lübeck setzt seit Dezember 2019 den sogenannten Gender- Doppelpunkt in offiziellen Dokumenten und in ihrer Korrespondenz mit den Bürger:innen der Stadt. Der Deutsche Bundestag lässt all diese Formen für Anträge und Begründungen von Gesetzesentwürfen zu.
Leitlinien für Hamburg seit Juni 2021
Auch die Stadt Hamburg hat vor einiger Zeit die für die hiesige Verwaltungssprache geltenden Grundsätze erweitert. Der letzte Senatsbeschluss dazu stammte aus dem Jahr 1995. Danach waren "weibliche und männliche Bezeichnungen in voll ausgeschriebener Form zu verwenden". Kurzformen wie "Schrägstrich- oder Klammerausdrücke und das große Binnen-I" waren nicht gewünscht.
Dieser Beschluss gilt grundsätzlich weiterhin. Doch im Juni 2021 wurde er um neue "Hinweise zur geschlechtersensiblen Sprache in der hamburgischen Verwaltung" ergänzt. Diese enthalten zusätzliche "Anregungen": Künftig kommen Gender-Stern und Gender-Doppelpunkt als mögliche Formen "im Schriftverkehr der Verwaltung nach Innen und nach Außen" hinzu. Empfohlen wird der Gender- Doppelpunkt. In Kombination mit geschlechtsneutralen Formulierungen (z. B. "Beschäftigte", "Lehrkräfte", "alle" statt "jede/jeder" etc.) sowie der Verwendung von Plural, Abstraktionen und Umschreibungen soll so die Vielfalt der Gesellschaft sprachlich abgebildet werden können.
Beim Erlass oder der Änderung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften ist jedoch weiter nach den Vorgaben des Senatsbeschlusses von 1995 vorzugehen. Auch feststehende Begrifflichkeiten wie "Ärztekammer" oder juristische Fachbegriffe wie "Eigentümer", "Schuldner" und "Gläubiger" werden nicht geändert. Insofern ist die Anpassung, die die Stadt Hamburg nun vorgenommen hat, sehr maßvoll.
Nur eine Frage der Gewohnheit
Gleichwohl mag sie dazu führen, sich auf neue Gepflogenheiten einstellen zu müssen, etwa wenn künftig bei offiziellen Anlässen die Begrüßung "Sehr geehrte Anwesende", "Sehr geehrte Gäste" oder ein freundliches "Liebes Publikum" die althergebrachte Formel ersetzt. Aber an den Euro haben wir uns schließlich auch gewöhnt. Warum sollte man sich also daran stören, dass nun auch Menschen einbezogen werden, für die in der Vergangenheit sprachlich kein Raum geöffnet wurde? Ist es nicht eher ein Grund, sich mit ihnen zu freuen?
Autor: Arne Offermanns
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HBZ · 12/2021
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