
Stadt ohne Sterne
Lichtverschmutzung - wenn die Nacht zum Tage wird
Tanzende Türme an der Reeperbahn mit Zierlichtern, Foto: (c) stahlpress Medienbüro
Fähranleger Teufelsbrück in Klein Flottbek am 10. Januar 2024 zwischen 20 und 22 Uhr: Studierende einer "Fachgruppe Dark Sky" der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) untersuchen ein "beleuchtungsauffälliges Objekt": 16 Mastleuchten strahlen von Anleger und Brücken in die Dunkelheit.
Mit einem Luxmeter wird die Stärke der Beleuchtung gemessen, ein Spotmessgerät und eine Leuchtdichtekamera kommen zum Einsatz. Die Messergebnisse werden mit verschiedenen Computerprogrammen ausgewertet und in Virtual-Reality-Simulationen dargestellt. Es geht darum, Anhaltspunkte für die mögliche Verringerung der Beleuchtung oder die Änderung der Farbtemperaturen und Lichtfarben zu gewinnen - um der Lichtverschmutzung entgegenzuwirken.
Immer "mehr Licht" ...
Licht ist eigentlich ein Segen. Als Johann Wolfgang von Goethe am 22. März 1832 auf dem Sterbebett in Weimar der Legende nach "mehr Licht" verlangte, wurden die Innenräume durch Kerzen erhellt. Im Freien war es dunkel bis auf den Mond und die Sterne. Licht war ein Luxusgut.
Die Industrielle Revolution machte die Nacht zum Tage. Wurde zuvor von Sonnenauf- bis -untergang gearbeitet, sollten die Maschinen nun ohne Pause in Betrieb sein. Die Nachtruhe wurde zur Nachtschicht. 1802 wurde in London eine erste Fabrik mit Gaslicht ausgestattet. Das sogenannte Stadtgas entstand durch die Destillation von Kohle. In Hamburg setzte ein Restaurant erstmals 1823 Gas zur Beleuchtung ein. Seit dem 4. Oktober 1845 brannten Gaslaternen in den Straßen.
Schließlich verdrängte die elektrische Glühbirne das Gaslicht aus den Wohnungen: 1882 legte Thomas Alva Edison erstmals in New York einen Lichtschalter um. Die Leuchtstoffröhre verschaffte der Illumination der Städte einen kräftigen Schub. 1913 erfunden und 1926 weiterentwickelt, wurde das "Neonlicht" zum Symbol der Epoche zwischen den Weltkriegen. Seither flackern gigantische Reklametafeln in der Nacht, und zwar buchstäblich, indem sie rhythmisch an- und ausgeschaltet werden.
Stadtlichter an der Hoheluftbrücke, Foto: (c) stahlpress Medienbüro
Inzwischen gibt es außerdem Fluchtlichtanlagen, Lasershows und Skybeamer. In den 2000er-Jahren kam das "Corporate Lightning" auf, bei dem Firmen ihre eigenen Gebäude nachts in den Konzernfarben leuchten lassen. Sehenswürdigkeiten werden angestrahlt und Fußgängerzonen schon vor dem 1. Advent mit zusätzlichen Lichtornamenten versehen. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert überbieten sich zur Weihnachtszeit und inzwischen auch zu Halloween gewöhnliche Bürger damit, ihre Häuser mit Zigtausenden von Leuchtelementen zu schmücken.
... - oder doch lieber weniger?
Unterdessen ist "weniger Licht" zur Parole geworden: Lichtverschmutzung, Lichtsmog oder Lichtmüll werden als Problem erkannt. Seit rund 15 Jahren werden in den Medien immer wieder das "Ende der Nacht" und die "Schattenseite des Lichts" beschworen. Ein gern zitiertes Beispiel für Lichtverschmutzung erscheint indes weltfremd: "Die meisten Deutschen können die Milchstraße nicht mehr sehen", klagte zum Beispiel 2009 Der Spiegel. Aber außer Hobbyastronomen bemerkt kein Stadtbewohner diesen Verlust. Wer im Auto, im Bus, in der Straßen- oder U-Bahn unterwegs ist, nähme die Sterne selbst dann nicht wahr, wenn sie sichtbar wären. Der Zustand der Wege, auf denen sie unterwegs sind, beansprucht die Aufmerksamkeit von Radfahrern für gewöhnlich derart, dass sie kaum den Kopf heben, um den gestirnten Himmel zu genießen.
Gewichtiger sind die gesundheitlichen Gründe gegen ein Übermaß an Beleuchtung. Licht ist ein biologischer Taktgeber. Seit Anfang des letzten Jahrzehnts wird genauer untersucht, wie künstliches Licht den Tag in die Nacht verlängert und damit in der Zirbeldrüse des Gehirns die Produktion des Hormons Melatonin unterdrückt. Dass ein Mangel an Licht die Ausschüttung von Melatonin beeinflusst, war längst bekannt. Doch auch ein Zuviel kann die innere Uhr irritieren und zu Schlafmangel und Herzrhythmus- Störungen führen. Die Risiken für das Immunsystem sowie für Brust- und Prostatakrebs steigen.
Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt
Drastischer und zweifelsfreier nachgewiesen sind die Effekte der Lichtverschmutzung auf die Tierwelt. Käfer, Nachtfalter und andere Insekten, die vom Ultraviolett-Anteil der Lichtquellen angelockt werden, verenden Nacht für Nacht millionenfach. Bereits 1977 zählten Biologen im österreichischen Graz bis zu 100.000 Insekten, die einer einzigen angeleuchteten weißen Fabrikwand zum Opfer gefallen waren. Der Tod der Insekten hat Auswirkungen auf die gesamte Nahrungskette und kann ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen.
Werbetafel auf der Hoheluftchaussee, Foto: (c) stahlpress Medienbüro
Das Licht entlang der Küsten verändert die Wanderungsbewegungen von Fischen. Ein durch Kunstlicht gestreckter Tag suggeriert den Vögeln die Fortdauer des Sommers, und sie starten später zum Flug in den Süden. Der Winterschlaf von Tieren tritt später ein und verringert ihre Überlebenschancen. Bäume neben Straßenlampen werfen Laub mit Verzögerung ab; Wasser verbleibt im Baum, sodass mit einbrechender Kälte Frostschäden entstehen.
Es wird immer heller
Die Rate, mit der die Beleuchtung jährlich zunimmt, wurde 2011 noch auf durchschnittlich 5 Prozent veranschlagt. Inzwischen sind es 10 Prozent. Laut einer Studie des Bundesamts für Naturschutz von 2018 nahm die nächtliche Beleuchtung in Hamburg von 2012 bis 2016 um 29 Prozent zu.
Trotzdem sind Lichtinstallationen im öffentlichen Raum angesagt. Zwei Monate lang wurde der Botanische Garten in Flottbek in den "Christmas Garden", "eine glitzernde Lichterwelt", verwandelt. Es sei "absurd", meinte Malte Siegert, der Hamburger Vorsitzende des Naturschutzbund Deutschland (NABU), dass "ausgerechnet in einem Natur- und Landschaftsschutzgebiet der Lichtverschmutzung weiterhin Raum gegeben wird".
Unumstritten scheint auch das Spektakel "Blue Port", das ausgerechnet den ohnehin größten Lichtemittenden der Stadt, den Hafen, zum Schauplatz hat. Auch südlich der Elbe wird mit Licht gespielt: Gefördert vom Bezirksamt finden bis zum 22. April "Harburg City Lights" statt. Das ehemalige Karstadt-Haus am Harburger Ring wird seit dem 22. Januar von 18 bis 21 Uhr mit Sätzen beleuchtet, die bei einer Kreativwerkstatt entstanden.
Lichtverschmutzung reduzieren - aber wie?
"In Deutschland gibt es kein Gesetz, welches unmittelbar als Ziel die Bekämpfung oder Beschränkung der Umweltverschmutzung durch Licht verfolgt", stellte 2019 der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages fest. Zwar zählt Licht inzwischen zu den im Bundesimmissionsschutzgesetz erfassten Einflüssen, die "nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen". Aber zwingende Grenzwerte, an denen sich Behörden oder Gerichte orientieren könnten, gibt es nicht.
Auch die Forschung steht vielfach noch am Anfang. In Hamburg konzentriert sie sich bei der HAW, namentlich bei der Professorin für Lichttechnik Dr.-Ing. Carolin Liedtke. Die beschriebenen Messungen am Anleger Teufelsbrück gehören ebenso wie die Untersuchungen am Elbe-Rad- und Wanderweg in Blankenese und am Landschaftsschutzgebiet Sülldorfer Knick zum Projekt "Darker Sky" der Europäischen Union. Mit über 6,7 Millionen Euro werden in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland seit April 2023 bis Oktober 2026 neun Pilotprojekte zur Reduktion der Lichtverschmutzung gefördert. Die HAW kooperiert mit dem Bezirksamt Altona, das über "Darker Sky" rund 260.000 Euro erhält.
"Der Fokus liegt auf dem Ausbalancieren zwischen menschlichem Lichtbedarf und Schutz von umgebender Natur", sagt Prof. Liedtke. Im Bezirksamt sind damit zwei Mitarbeiterinnen des Fachamts Management des öffentlichen Raums befasst. Im vergangenen Jahr fanden Workshops statt mit anderen Ämtern und Fachbehörden. In diesem Jahr gibt es "Nightwalks" für Bürgerinnen und Bürger. Ein Rundgang führte am 6. März etwa durch das Wildgehege Klövensteen.
Die Messungen der HAW am Anleger Teufelsbrück, teilt das Bezirksamt mit, hätten dazu geführt, dass "in Zusammenarbeit mit den für Beleuchtung zuständigen Stellen in der Stadt die Beleuchtungen vor Ort ausgetauscht wurden", wodurch "die Lichtverschmutzung vor Ort deutlich reduziert wurde und auch der Energieverbrauch der neuen Beleuchtungen geringer ausfällt".
Widersprüchliche Bedürfnisse
2021 befasste sich der Umweltausschuss im Bezirk Wandsbek damit, dass Hof und Parkhaus einer Berufsschule nachts und am Wochenende beleuchtet waren. Die zuständige Finanzbehörde machte Sicherheitsgründe geltend: weniger Einbrüche und Vandalismus. Immerhin wurden Bewegungsmelder angebracht und die Beleuchtungszeiten reduziert. Bei öffentlichen Gebäuden können die Behörden auf die Beleuchtung Einfluss nehmen, bei privaten muss in jedem Einzelfall ein Gericht angerufen werden.
Sicherheit und Ökologie müssen sich nicht ausschließen. Immer wieder wurden Beschwerden laut über die mangelnde Beleuchtung eines Geh- und Radwegs unter der Stein-Hardenberg-Straße in Rahlstedt. Nachdem sich im Frühjahr 2023 der Regionalausschuss Rahlstedt mit einer insektenfreundlichen Beleuchtung befasst hatte, vergingen noch zwei Jahre bis zur Installation.
Im November 2024 machte die Beleuchtung einer 1,4 Kilometer langen Strecke an der Außenalster zwischen Krugkoppelbrücke und Alter Rabenstraße Schlagzeilen. Etliche der 2004 bei einem Public-Private-Partnership- Projekt mit zwei Lampenfirmen installierten Lampen sind inzwischen defekt. "Von einer Installation neuer Leuchten sieht die Umweltbehörde auf Nachfrage ab. Es würden Tiere an der Alster gestört und eine zu hohe Lichtverschmutzung befürchtet", fasste die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft im Dezember die Lage in einem Antrag zusammen. "Außerdem seien neue Lampen zu teuer." Normalerweise würden Parks aus ökologischen Gründen nicht beleuchtet, hieß es vom Senat. Nun sollen dennoch 150.000 Euro für neue Lampen ausgegeben werden. Der NABU kritisiert jedoch, dass die geplante Beleuchtung nicht insekten- und fledermausfreundlich sei.
Werbung und Wirtschaft
Eine andere Lichtquelle im Stadtraum sind die leuchtenden der über 3.700 Werbeträger in der Stadt. Sie sind laut der Initiative "Hamburg Werbefrei" "für einen Großteil der Lichtverschmutzung und die damit einhergehenden negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur verantwortlich". Ein Volksbegehren zum Verbot wurde vom Senat bekämpft, der allerdings im September 2024 vor dem Verfassungsgericht unterlag. Vom 23. April bis zum 13. Mai 2025 sollen nun 80.000 Unterschriften für die Durchführung einer Volksabstimmung gesammelt werden.
In Bremen wurden zwei Drittel der Straßenlaternen von Leuchtstofflampen auf Light Emitting Diodes (LED) umgestellt, die mit einer warmweißen Farbtemperatur weniger störend für Insekten sind. Dass es in Hamburg nur knapp über 22 Prozent LED-Lampen gibt, begründet die BUKEA mit dem guten Zustand der rund 126.000 "Lichtpunkte" - ein vorzeitiger Tausch sei weder energetisch sinnvoll noch nachhaltig. Auf die Frage nach konkreten Maßnahmen gegen die Lichtverschmutzung verweist die BUKEA auf eine Broschüre von 2022, die allerdings eher eine Liste von Wünschen enthält wie die "Reduktion der Beleuchtungsanlagen auf das absolut notwendige Minimum". Oder dass die Beleuchtung von Hochhäusern außerhalb der Geschäftszeiten abgeschaltet wird. Darauf jedoch hat die Behörde keinen Einfluss.
Anders als in Köln oder Leipzig gibt es in Hamburg bisher keinen Lichtmasterplan. Sie "werbe für die Idee eines 'Lichtbudgets'", sagt Prof. Liedtke. "Wenn eine Stadt wie Hamburg sich eines setzen würde, also die Menge, wieviel Licht sie pro Nacht, pro Fest oder pro Jahr ausstrahlen kann und will, dann könnte man entsprechende Schwerpunkte setzen und Ziele vereinbaren. Wir brauchen als Stadtgesellschaft einen Diskurs darüber, welches Licht für uns wichtig ist und welches nicht." Ihrem achtjährigen Sohn erklärt die Professorin, warum sie abends die Jalousien herunterlässt: "Licht aus Innenräumen ist Müll - wie Plastik."
Zwar gibt es in Hamburg seit 2006 den "Lichtbeirat". Der aber kümmert sich ausschließlich um die Innenstadt. Nach Auskunft der BUKEA spielt Lichtverschmutzung bei diesem Beratergremium auch nur in Bezug darauf eine Rolle, in welchem Maß das bei der Beleuchtung von Gebäuden und Lightshows eingesetzte Licht in den Nachthimmel strahlen darf.
Eine Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes steht noch aus. Baden-Württemberg aber "habe mit ihrem 2023 novellierten Naturschutzgesetz gezeigt, dass Hamburg nicht zu warten bräuchte, verbindliche Regeln oder Gesetze zur Eindämmung der Lichtverschmutzung zu erlassen", findet Prof. Liedtke.
Bildergalerie
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Autor: Volker Stahl
Fotos: (c) stahlpress Medienbüro, Lampe mit Insekten (c) NABU/Jan Piecha
HBZ · 04/2025
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